Die Suche nach dem Masterplan zur Digitalisierung

Banken im Spannungsfeld von Convenience, Produktivität und Disruption

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Die Digitalisierung ist nach wie vor ganz oben auf der Agenda der Bankvorstände. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die Branche strotze nur so vor Innovation. Bei genauerem Hinsehen kommen einem jedoch berechtigte Zweifel.

Die Suche der Banken nach der richtigen Digitalisierungsstrategie

Viele Banken und Sparkassen befinden sich noch auf einer Suche nach der richtigen Digitalisierungsstrategie.

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Arbeitsgruppen, Projekte, Learning Journeys, Beteiligungen an FinTechs – die Banken entwickeln vielfältigste Aktivitäten im Zuge der digitalen Transformation und es entsteht mitunter der Eindruck, dass es kaum innovativere Wirtschaftssubjekte gibt als die Banken. Doch der Schein trügt – nur wenige Banken haben eine zielgerichtete und in das Geschäftsmodell integrierte Digitalisierungsstrategie.

Trotz allen neuen Einschätzungen und Schlagzeilen sind Banken keine Unternehmen, die Digitalisierung als Geschäftszweck haben – die Kundenbedürfnisse sind immer noch Zahlungsverkehr, Finanzierungen, Geldanlagen und Vorsorge – das ist schon seit Beginn des europäischen Bankensystems im 13. Jahrhundert so und wird sich wohl auch in der Zukunft wenig ändern.

Allerdings haben Banken immer schon neue technische Möglichkeiten genutzt, um diese Produktpalette besser für den Kunden und produktiver für die Bank gestalten zu können: Telegrafie zur schnelleren Geldübertragung, Karten als Ersatz von Bargeld, SB-Automaten, EDV zur schnelleren und billigeren Verarbeitung der Kontendaten, Electronic Banking, um nur einige Stichworte zu nennen.

Digitalisierung und Convenience

Bankgeschäfte sind für die meisten Kunden Alltagsangelegenheiten und wenig emotional besetzt. Die wenigsten Menschen wachen in der Nacht mit dem unbändigen Bedürfnis auf, sich am nächsten Vormittag einen Investmentfond zu kaufen; im Gegenteil sind viele Bankangelegenheiten eher lästig bis unangenehm: Kreditzinsen zahlen, Rechnungen überweisen, über Kursverluste informiert werden, Konsumkürzungen wegen Vorsorge zu überlegen etc.

Vor diesem Hintergrund schätzen es viele Kunden, Bankdienstleistungen möglichst bequem abwickeln zu können. Im Zeitalter der Digitalisierung bedeutet das jederzeitige (24/365) und globale Verfügbarkeit und simultane Ausführung über alle nur erdenklichen Vertriebskanäle: App, Portal, Telefon, Mail, Messenger, Chat etc.

Am einfachsten ist das bei den am häufigsten in Anspruch genommenen Dienstleistungen: Zahlungsverkehr über Konto oder Karten, Auskünfte, Bestellungen – diese werden heute schon in einem hohen Maß über das Internet oder über das Telefon erledigt. Nur mehr wenige Kunden suchen wegen solcher Transaktionen eine Filiale auf. Ca. 70 Prozent der Besitzer von Zahlungsverkehrskonten benutzen mediale Wege zur Besorgung ihrer.

Die Convenience bleibt nicht bei den einfachen Transaktionen stehen – dieses Bedürfnis umfasst auch Beratungen und komplexere Dienstleistungen. So ist der Direktabschluss von Produkten ein Thema, an dem derzeit in vielen Banken gearbeitet wird. Im Gegensatz zum Zahlungsverkehr und zum Service kommt an dieser Stelle das Finanzwissen der Kunden als wesentliche Komponente zur Umsetzbarkeit dazu. Dieses ist sehr unterschiedlich und in der Gesamtheit nicht sehr ausgeprägt.

Kunden mit einem hohen Finanzwissen tendieren dazu, ihre Bankdienstleistungen sehr professionell auszuwählen und bevorzugen die Direktschienen. Ein gutes Beispiel ist das Wertpapiergeschäft: Die Online Broker – Comdirect, OnVista, Flatex, Consors etc. – haben vor allem Kunden mit entsprechender Kapitalmarktexpertise, die neben guten Preisen auch mächtige Analysetools suchen. Die deutlich einfacheren und meist teureren Online-Schienen der regionalen Banken können angesichts dieser Konkurrenz von vornherein nur kleine Marktanteile erreichen. So bleiben für den Direktabschluss einfache Produkte wie Bausparen, Konsumkredite oder Standardversicherungen.

Viel wichtiger ist es aber aus unserer Sicht, den Zugang zur persönlichen Beratung mit mehr Convenience auszustatten. Dies kann nur mit einem leistungsfähigen Kundencenter geleistet werden, das über alle medialen Kanäle (Mail, Messenger, Telefon, Videobanking) mit einer hohen zeitlichen Verfügbarkeit zu erreichen ist. Für Regionalbanken sind diese Convenience-Konzeptionen in erster Linie defensive Strategien: Es wird damit wohl kaum gelingen, eine signifikante Anzahl neuer Kunden zu gewinnen – aber ohne diese Maßnahmen werden wohl viele Bestandskunden zu anderen Anbietern abwandern.

Digitalisierung und Produktivität

Aus Sicht der Bank ist die Digitalisierung das wichtigste Instrument zur Produktivitätssteigerung. Diese greift an drei wesentlichen Stellhebeln an:

  • Schnittstelle Kunde – Bank,
  • Prozessoptimierung in der Abwicklung und
  • Steigerung der Effizienz durch Big-Data-Konzepte und AI.

Angesichts der Bedeutung der Produktivität in der Niedrigzinsphase ist eine Digitalisierungsstrategie vor allem in diesem Licht zu betrachten.

Gerade hier zeigt sich eine falsch verstandene Digitalisierungsstrategie: Die meisten Regionalbanken haben die Produktivitätspotenziale der neuen Convenience sehr wenig ausgeschöpft; anstatt eine intelligente Kombination und Integration der Vertriebsschienen anzustreben, haben die meisten Banken diese nebeneinander gesetzt und vor allem das traditionelle stationäre Vertriebsnetz nicht substantiell im Sinne der Produktivität verändert.

In vielen Geschäftsstellen treibt eine falsch verstandene Digitalisierung teils seltsame Blüten: Mit hohen Investitionen werden diese mit Tablets, Videotelefonen und anderen Automaten zu hybriden aber letztendlich stationären Filialen aufgerüstet. Am Ende des Tages bleibt eben wegen der wirklichen Digitalisierung für eine stationäre Filiale nur die Beratungsfunktion – Anzahl und Funktionalität ergibt sich letztendlich nur aus einer klar definierten Beratungsstrategie auf Basis einer intelligenten Kundensegmentierung.

Der zweite nicht zu unterschätzende Produktivitätsgewinn ergibt sich aus der „Zentralisierung“ der Beratung in einem durch alle medialen Schienen komfortabel erreichbaren Kundencenter. Hier wird die Videoberatung eine immer größere Rolle spielen. Wir gehen davon aus, dass diese Vertriebsschiene deutlich schneller als von vielen Bankmanagern erwartet wachsen wird. Ein hochentwickeltes Routing System kann die Produktivität der Berater enorm steigern und eliminiert Wartezeiten fast komplett. Nach unserer Einschätzung machen diese heute in der stationären Beratung einen Zeitanteil von mindestens 35 Prozent aus.

Digitalisierung und Disruption

Neben der Steigerung der Convenience und einer Optimierung der Produktivität hat die Digitalisierung auch disruptive Wirkungen, die traditionelle Geschäftsmodelle bedrohen und substituieren. Disruption im Bankenbereich ist aufgrund der allseits bekannten Baupläne der Produkte und der Regulierungsdichte komplexer als in anderen Branchen – Differenzierungen sind vor allem über Vertriebskanäle und Preise möglich. Zudem besteht die Möglichkeit, traditionelle Geschäftsmodelle mit digitalen Modellen zu kombinieren und hybride Strategien zu lancieren.

Disruptiver Wettbewerb bezüglich der Regionalbanken greift im Wesentlichen in unterschiedlichen Bereichen an, drei sollen hier näher beleuchtet werden:

  1. Direkt Banking,
  2. Plattformen und
  3. Zahlungsverkehr.

Die Gefahrenpotenziale sind sehr unterschiedlich und noch nicht abschließend zu beurteilen; die direkte Gefahr wird meist überschätzt, die indirekte (z.B. Zahlungsverkehr) ist beträchtlich.

1. Disruption durch Direkt Banking

Direkt Banking umfasst bekannte und schon seit Jahren aktive Wettbewerber wie ING, DKB, Comdirect aber auch Neobanken wie N26 oder Revolut – gemeinsam ist diesen Banken, dass sie ohne Filialen agieren, digitale Schienen in den Vordergrund stellen und kostengünstige Produkte anbieten.

Aktuell besitzen ca. 20 Millionen Kunden in Deutschland eine Verbindung zu einer Direktbank; ca. 6 Millionen Kunden führen auch den Zahlungsverkehr bei einer Direktbank. Dieses Segment wächst aktuell mit ca. 20 Prozent p.a. – vor allem eine Folge der massiven Gebührenerhöhungen der Regionalbanken.

Der USP der Direktbanken liegt vor allem im Preis und in der zeitlichen Verfügbarkeit (7/24) ihrer Services. Technologisch bieten die Regionalbanken in ihrem Online- und App-Banking ähnliche Features. Um die Marktanteilsverluste strategisch zu begrenzen, werden die Regionalbanken gefordert sein, im digitalen Bereich ihre Preisstrukturen an die Direktbanken anzupassen und entsprechende Restrukturierungen durchzuführen. Insofern ist die Disruption durch die Direktbanken kein Todesurteil, aber eine sehr große Herausforderung.

2. Disruption durch Plattformen

Plattformen als digitale Marktplätze verbreiten sich in allen Produktbereichen des Bankings: Interhyp, Baufinex, Finmas als Beispiele in der Baufinanzierung, Weltsparen / Raisin bei Passivprodukten, LoanBoox oder CredX bei großen Finanzierungen – die Liste lässt sich beliebig verlängern.

Diese Plattformen haben auf das traditionelle Geschäftsmodell der Regionalbanken eine erhebliche disruptive Wirkung. Auf der einen Seite wird die „Regionalität“ des Geschäftes komplett aufgelöst, auf der anderen Seite wird auch die Vertikalität der Wertschöpfung aufgehoben. Regionalbanken müssen klar definieren, was ihre künftige Rolle im Vertrieb ist und welche Produkte künftig auch selbst produziert werden.

3. Disruption im Zahlungsverkehr

Der Zahlungsverkehr verlagert sich in Folge des Kundenverhaltens (E-Commerce, Apps) immer mehr ins Internet – eine Entwicklung, auf die die Banken zu spät reagiert haben. An der Schnittstelle zwischen E-Commerce Anbietern und den Konsumenten haben sich Zahlungsverkehrsspezialisten wie Paypal, Wirecard oder Klarna etabliert, die international agieren und ein dynamisches Wachstum aufweisen.

Gefährlich wird es für die Regionalbanken, wenn diese Anbieter sich mit entsprechenden App-Oberflächen direkt an die Konsumenten wenden und damit die Banken aus dem Zahlungsverkehr drängen. Mit den drastischen Gebührenerhöhungen bei Kontopaketen haben die Regionalbanken dazu den Boden aufbereitet – Wirecard hat mit „boon planet“ schon reagiert.

Digitalisierung muss Thema des Top Management sein

Damit wird klar, dass die Digitalisierung Thema des Top Management ist – eine Delegation an die IT oder an „Digitalisierungsmanager“ greift zu kurz. Ein Masterplan zur Adaption und Weiterentwicklung des Geschäftsmodells entlang der Themen Convenience, Produktivität und auch Disruptionsgefahren ist Gebot der Stunde.

Über den Autor

Dr. Christof Grabher

Dr. Christof Grabher ist Managing Director bei CONFIDUM Financial Management Consultants AG, St. Gallen. Nach Studium der Betriebswirtschaft und der Rechtswissenschaften war er zunächst mehrere Jahre in verschiedenen Bereichen einer internationalen Großbank tätig.

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