Wer zerschlägt heute die Webstühle?

Digitales Relationship Management für neue Perspektiven im Wealth Management

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Auch im Private Banking und Wealth Management hält die Digitalisierung Einzug und stellt das Dogma der rein persönlichen Beratung in Frage. Dabei eröffnet ein digitales Relationship Management für Banken wie Kunden vielfältige neue Möglichkeiten.

Digitales Relationship Management im Private Banking

Digitales Relationship Management für neue Perspektiven im Private Banking.

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Wie bei den Webstühlen und anderen Maschinen der industriellen Revolution werden Algorithmen als eine Bedrohung für bestimmte Berufsbilder empfunden. Digitale Tools für Kunden und Berater, wie z.B. die in aller Munde stehenden Robo Advisor oder Personal Finance Management Tool, strömen auf den Markt und werden von Jahr zu Jahr leistungsfähiger.

Doch Algorithmen werden den menschlichen Berater – zumindest im Private Banking und Wealth Management – nicht ersetzen. Allerdings werden sie seine Tätigkeiten nachhaltig und deutlich verändern.

Unterschiedliche Wahrnehmungen: Berater versus Kunde

Heute herrscht bei vielen Beratern noch das Dogma der Unersetzlichkeit vor: „Mein Erfahrungswissen kann keine Maschine ersetzen!“ oder „Nur ich kann alle relevanten Informationen für meinen Kunden zu einem Gesamtbild zusammenbringen!“ hört man hierzu oft.

Der Blick aus der Kundenperspektive sieht dagegen so aus: „Wenn ich zu einem Thema eine Aussage brauche, frage ich immer mehrere Banker nach Ihrer Meinung; ich verlasse mich nie auf einen. “; “Transparenz und Marktüberblick sind für mich wichtig. Es ist nur mühsam sie im Dickicht der Informationen zu erhalten.”, oder “Ich will nicht vom Herrschaftswissen einer Person abhängig sein.”

Kunden schätzen durchaus den menschlichen Berater. Viele Informationen, Marktzugänge und Transaktionsmöglichkeiten hätten sie jedoch auch gern digital und unabhängig von ihm.

Wenn man die Tätigkeit von Bankberatern von der Kundengewinnung bis zur Umsetzung von ausgefeilten Anlagestrategien herunterbricht, erhält man eine Ahnung, was davon heute bzw. sehr bald digitalisiert angeboten wird:

Kundenakquisition als Beispiel möglicher Digitalisierung

Hier zeigt sich schon, wie sich das Berufsbild im Private Banking ändert. So ist eine zentrale Tätigkeit von Privatkundenbetreuern die Gewinnung neuer Kunden bzw. die Kundenakquise.

Die herkömmliche Methode läuft in etwa so ab: Der potentielle Kunde wird auf einer Veranstaltung kennengelernt und ein Gespräch ergibt sich. Daraufhin vertieft der Berater die Beziehung durch einen „Gefallen”, wie etwa der Übersendung von Kapitalmarktanalysen oder anderer Marktberichte, Verknüpfung mit anderen interessanten Personen oder nützlicher Tipps.

Sodann wird vorgeschlagen, sich einmal direkt zur gegenseitigen Vorstellung zu treffen, in dem der Berater die Leistungen des eigenen Hauses vorstellen kann. Bleibt das beiderseitige Interesse bestehen, wird ein Folgetermin vereinbart, indem u.a. eine Vermögensstrukturierung oder eine andere konkrete Dienstleistung angeboten wird.

Oft benötigt der „Kontakt” noch weitere Bedenkzeit, die mit exklusiven Einladungen, weiteren Gesprächen oder Aufmerksamkeiten zu familiären Anlässen überbrückt werden. Und dann, so Gott will, wird der „Kontakt” irgendwann ein Kunde.

Dieser Prozess kann zwischen einigen Wochen und vielen Monaten dauern.

Der Berater sendet aus, der Algorithmus „lockt“

Und wie sieht der Kundengewinnungsprozess in der schönen neuen Digitalwelt aus?

Im Gegensatz zum Bauchgefühl guter Berater ist die Digitalwelt Kennzahlen-orientiert. Bei der Kundengewinnung wird sehr genau gemessen, wie viele Kontakte ein potentieller Kunde mit einer Marke oder einem Unternehmen haben muss, um erstmals Kunde zu werden. Insofern basiert der deutlich größere Anteil der Kundenakquisitionsbemühungen auf „Marketing” und nicht auf „Sales” bzw. direkter – menschlicher – Kundenansprache.

So pendelt es sich meist ein, dass der potentielle Kunde fünf bis zwölf Kontakte mit einer Marke gehabt haben muss, bis er sich entschließt, einen Vertrag oder eine Registrierung abzuschließen bzw. Geld auszugeben.

Während der menschliche Berater aktiv Informationen aussendet, „lockt” das digitalisierte Unternehmen über das Internet oder mittels Apps den Zielkunden in seinen Bann. Dies können interessante, frei zugängliche Blogbeiträge oder Fach-E-Books zum Download sein. Dies können auch Begrüßungs- und Informationsmails sein, die natürlich hinsichtlich Thema und Namen individualisiert sind, jedoch automatisiert versendet werden. Durch kostenfreie Tools oder Apps, mit denen man einen Mehrwert schafft, z.B. indem dem Kunden die Möglichkeit zu einer schnellen Analyse des eigenen Portfolios gegeben wird, wird der Betroffene weiter in den Kreis der Marke eingebunden. Es kommt hierbei darauf an, die Schwellen zur Kontaktaufnahme jeweils niedrig zu halten.

Das heißt, dass weder wesentlicher zeitlicher, finanzieller noch intellektueller Aufwand für den potentiellen Kunden entstehen darf. All diese Themen können rein softwarebasiert bearbeitet werden, die sich für den Kunden individualisiert anfühlen, aber gleichwohl skalierbar sind. Hat man sich bis hierhin den Kontakt nicht verbrannt, kommt der „Lockruf” zum Individualgespräch bzw. zum Eingehen einer – immer noch niedrigschwelligen – Vertragsbeziehung.

Der Unterschied zwischen der herkömmlichen Kundengewinnung und der digitalen Vorgehensweise besteht darin, dass die Kommunikation und kleine Angebote voll automatisiert und trotzdem individuell in deutlich zeit- und kostensparender Art und Weise durchgeführt werden können, und, dass der Kunde auf das Beratungsunternehmen auf Grund der interessanten Angebotshäppchen zugeht und nicht der Berater direkt auf den potentiellen Kunden („pull” statt „push”).

Zudem ist der digitale Beziehungsaufbau – eigentlich schon fast selbstverständlich – unabhängig von Raum und Zeit. So kann auch der vermögende Jäger abends in seiner Jagdhütte auf dem Berg über sein Smartphone erreicht werden.

Digitalisierung in der Vermögensanalyse und Anlagestrategie

Kommen wir zu einem Herzstück der Kundenbeziehung, der Aufnahme der (vermögensmäßigen) Ausgangslage des Kunden und der Ableitung einer geeigneten Anlagestrategie.

Nach MiFID II bzw. dem Wertpapierhandelsgesetz sind Finanzberater gehalten, vor jeglichen Ratschlägen eine umfassende Aufnahme des Vermögens und der Ziele des Kunden durchzuführen. Wie schnell und wie tiefgehend diese Analyse stattfindet, hängt von vielen Faktoren ab.

Vielfach erkennen die Kunden im Rahmen dieses Prozesses, dass viele Vermögensunterlagen mühsam zusammengestellt werden müssen, seien es Unterlagen diverser Bankverbindungen, Versicherungsverträge, Immobilienwerte, Unternehmensbeteiligungen, Kunst, Oldtimer etc. In vielen Fällen begnügen sich sowohl Kunde als auch Berater mit einer annähernden Übersicht über illiquide Anlagen und konzentrieren sich auf Cash- und Wertpapierbestände. Aber auch hier müssen Depotauszüge unterschiedlicher Banken zusammengefügt werden.

Das Gespräch über Risikoneigung und Anlageziele ist dagegen die leichtere Übung. Hierfür gibt es Klassifizierungen und Modelle, wie diese Angaben in eine Anlagestrategie umgemünzt werden. So kommt es bei der Anlage sehr darauf an, für welche Zeiträume und mit welchen potentiellen Liquiditätsbedürfnissen gerechnet wird.

Digital gedacht, läuft es so: Über eines der derzeit am Markt verfügbaren Tools bzw. Apps pflegt der Kunde seine Vermögensübersichten selbst ein, Bankbestände und Immobilienbewertungen aktualisieren sich automatisch und die Kunstsammlung wird auch nicht vergessen. Die wesentlichen Vermögensinformationen sind also in Echtzeit jederzeit vorhanden und können vom Kunden mit seinem Berater geteilt werden. Dies macht später auch die Arbeit des Beraters leichter, der mindestens einmal jährlich und für jede Beratung eine Geeignetheitserklärung abgeben muss, die natürlich auch Veränderungen in der Vermögenszusammensetzung berücksichtigen muss.

Im Kern wird ein Teil der Arbeit vom menschlichen Berater auf den Kunden und die Software verlagert. Dies ist die konsequente Fortführung der Rückdelegation von Überweisungsvorgängen vom Schalterbeamten auf den Kunden über das Online-Banking.

Digitale Strategiefindung

Aber auch die hohe Kunst der Strategiefindung kann schon deutlich schneller mittels digitaler Tools erfolgen. Algorithmen lieben Kategorien und feste Zusammenhänge. Baldowert ein Berater mit seinem Kunden eine Liquiditätsquote bisher basierend auf Erfahrungswissen aus; schlägt der Algorithmus präzise berechnete Cashquoten vor, die auf dem ermittelten Bedarf, der Inflation, festgelegten Risikozuschlägen und – Big Data lässt grüßen – statistisch basierten Erfahrungen beruhen.

Auch hier ist natürlich das kritische Auge des Beraters nicht wegzudenken, ob das alles so hinhauen kann. Aber genauso wie wir eine Weile brauchten, um den Routenhinweisen von Google Maps zu trauen, werden uns die neuen Algorithmen mit ihrer Aussagekraft auch zu überzeugen wissen.

Wo bleibt der Mensch?

Eine Software kann aber natürlich nur vorgegebene Parameter berechnen. Deshalb bleibt die menschliche Interaktion so wichtig. Familiäre Erfahrungen mit gewissen Anlageklassen können so genauso berücksichtigt werden, wie Persönlichkeitsmerkmale bzw. echte Risikoneigungen, die manchmal von den Antworten auf vorgegebene Fragen abweichen. Und außerdem geht es natürlich noch um Vertrauen, Gefühl und das Gegenüber als Sparringpartner.

Neue Anforderungen an Vermögensberater

Jedoch werden die Anforderungen an den Berater im Private Banking und Wealth Management neu definiert. Der Berater muss noch mehr Komplexität für den Kunden lösen und Empathie einbringen; jedoch immer auch als Coach und Experte für digitale Themen. Neben der Hilfestellung bei der Auswahl der richtigen Anlageprodukte wird vom neuen Kundenberater auch erwartet, dass er seinem Kunden durch die Vielfalt neuer digitaler Tools und Informationskanäle führt.

Vertrauen in der digitalen Welt

Dass Vertrauen auch digital entstehen kann, zeigen die Silicon Valley Größen wie Google oder Amazon, deren Service kaum mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist, und wir trotzdem so gut wie nie Kontakt zu den dahinter stehenden Menschen haben. Das Geheimnis des Vertrauensaufbaues in der digitalen Welt ist jedoch das gleiche wie zwischen Personen. Vertrauen entsteht durch positive Erfahrungen, wie der Verlässlichkeit der Leistungsversprechen und der leichten Nutzbarkeit (Usability/UX).

Unendliche Möglichkeiten der neuen Kunde-Berater-Beziehung

Die neue Kunde-Berater-Beziehung wird in dieser neuen Welt ein besonderer Gewinn für beide Seiten sein.

Auf Basis der ganzheitlichen Vermögensübersicht kann das Kunde- Berater-Tandem viel bessere Strategien ableiten, die Umsetzung besser steuern und viele illiquide Assets, die sonst oft vergessen werden, besser mit einbeziehen.

So freuen wir uns doch alle, wenn unser Berater, regelmäßig den Versicherungsschutz überprüft und verbessert (d.h. verbilligt), die Darlehensstruktur optimiert oder auf einen guten Zeitpunkt zum Verkauf von Assets (Immobilien?!) hinweist.

Wir gehen davon aus, dass der Kunde in einer solchen Beziehung durchschnittlich höhere Renditen erwirtschaftet UND der Berater durch Einbezug von deutlich mehr Themen, weitere Umsätze generieren kann.

Fazit: Richtige Digitalisierung schafft Raum für Menschliches

In der unmittelbaren Zukunft muss der Berater vor allem eine Brücke für den Kunden schlagen, und zwar zwischen neuen technologischen Möglichkeiten und dessen Bedürfnissen. Dafür muss sich der moderne Private Banker auf diese Art der Beratung, die eben auch den Umgang mit Algorithmen, künstlicher Intelligenz und digitalen Tools umfasst, einlassen. Dies alles richtig umgesetzt, verschafft dann wieder mehr Raum für Menschliches.

Über den Autor

Dr. Nicholas Ziegert

Dr. Nicholas Ziegert ist geschäftsführender Gesellschafter der W&Z FinTech GmbH ("OWNLY App"). Der promovierte Jurist hat - nach Tätigkeiten als Anwalt und Banker - das Startup gemeinsam mit M.M.Warburg & CO aufgebaut.

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