Wie Chinas Plan aufgehen könnte

Volksrepublik auf der Suche nach wirtschaftlicher Erneuerung

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China als Werkbank der Welt mit unbegrenztem Wachstum – so der Tenor bis zum Ausbruch der Corona-Krise. Seither ist das Bild differenzierter. Das Wachstum ragt nicht mehr in den Himmel. Das Land hat eine neue Richtung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik eingeschlagen.

China und seine Wirtschaft auf dem Weg der Erneuerung

China und seine Wirtschaft auf dem Weg der Erneuerung.

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Bei der Beurteilung von Chinas neuem Weg scheiden sich die Geister: Die einen sagen, die Kommunistische Partei Chinas (KP) fällt zurück in alte kommunistische Mao-Zeiten. Doch es gibt andere die sagen, China suche die wirtschaftliche Erneuerung, um spätestens zum 100-jährigen Geburtstag der chinesischen KP im Jahr 2049 mit dem Westen wirtschaftlich und auch technologisch gleichzuziehen, wenn nicht sogar zu überholen.

Das Thema Evergrande zeigt den Unterschied in der Beurteilung in seinem vollen Ausmaß. Evergrande ist bekanntlich der zweitgrößte Immobilienentwickler Chinas, der sehr hoch verschuldet ist und möglicherweise kurz vor der Geschäftsaufgabe steht. Wie kam es zu der dramatischen Zuspitzung der wirtschaftlichen Situation?

Zusammenbruch in Kauf genommen

Ohne in die Details zu gehen: Der Kommunistische Partei Chinas geht es um freien Marktzugang und sozialen Ausgleich. Vor diesem Hintergrund sind der chinesischen KP die stark steigenden Immobilienpreise und Mieten schon lange ein Dorn im Auge. Um die Spekulationen mit Grundstücken und Immobilien einzudämmen, hat die chinesische Regierung vor einiger Zeit die Kreditaufnahme für Immobilienentwickler stark beschränkt. Der unerwartet eingeschränkte Kapitalzufluss brachte viele Immobilienentwickler, wie eben auch Evergrande, in eine finanzielle Notlage. Die Gefahr, dass der Zusammenbruch eines ganz Großen aus der Branche einen Dominoeffekt auslösen könnte, nimmt die politische Führung in Kauf. Es geht ihr nämlich nicht um die Rettung von Evergrande oder einer ganzen Branche, sondern um das Abschneiden von Blasenbildungen und der weiteren Herausbildung von marktbeherrschenden Stellungen im gesamten Immobiliensektor. Dieser soll letztendlich neu geordnet und ausgerichtet werden.

Bis hier müssten die treuen Anhänger der freien Marktwirtschaftler à la Adam Smith noch mitgehen. Doch schon das tun sie nicht. Die westlichen Ökonomen stoßen sich an der Radikalität der Vorgehensweise und verleugnen dabei einen ihrer modernen Klassiker – Joseph Schumpeter – der in einem analogen Zusammenhang den Ausdruck der schöpferischen Zerstörung schuf. Darüber hinaus vermutet der Westen, dass die Regulierungswut der Kommunistischen Partei Chinas noch lange kein Ende findet und dass in einer großen wirtschaftspolitischen Neuausrichtung die Partei wieder alle wirtschaftlichen Aktivitäten kontrollieren und beherrschen möchte. Der Prozess der Reform und Öffnung – Chinas Weg in die Moderne, der unter Deng Xiaoping 1976 eingeleitet wurde – soll in ihrer Lesart zurückgedreht werden. Doch sollte der KP tatsächlich entgangen sein, dass die schrittweise Einführung von freien Märkten – zunächst in der Landwirtschaft, dann in der Industrie und später auch in der Außenwirtschaft – eine ungeheure Dynamik auslöste, vor der sich der Westen allmählich sogar zu fürchten beginnt?

Beschneidung marktbeherrschender Stellungen

Ist von der Regulierung der Wirtschaft in China die Rede, erscheinen häufig Sprachbilder wie Daumenschrauben oder Würgegriff – verbunden mit dem Zusatz, dass es die Kommunistische Partei ist, die da schraubt, greift und würgt. Hier lohnt es sich, einmal genauer hinzusehen, welche Unternehmen und Branchen eigentlich Gegenstand dieser Regulierung sind – und warum die politische Führung hier eingreift. Die Eingriffe treffen oft Technologie-Unternehmen, einschließlich dem lukrativen E-Learning-Bereich, Anbieter von Dienstleistungen und Sharing-Lösungen aber eben auch die Immobilienwirtschaft. Deren Aktivitäten werden deutliche Grenzen gesetzt und der Grund ist in allen diesen Fällen im Wesentlichen immer der gleiche: Es geht nicht um die Vernichtung von Unternehmen, sondern um die Beschneidung marktbeherrschender Stellungen und die Schaffung von Chancengleichheit.

So sollen sich nicht nur die Kinder der Superreichen die extrem teuren Nachhilfestunden leisten können, um später an den Elite-Schulen und -Universitäten zugelassen zu werden. Auch sollen die Kinder in einem verträglichen Maß spielen und nicht stundenlang am Computer „daddeln“. So beschränkt die KP die maximale Spielzeit von Computerspielen während der Schulzeit auf eine Stunde pro Tag. Es geht also nicht um die Abschaffung von Computerspielen oder die Beschneidung von Absatzchancen von Computerspielen, sondern um ein sehr langfristiges Ziel: die Gesundheit der nachwachsenden Generationen zu erhalten, die letztendlich die Wirtschaftskraft Chinas tragen und steigern sollen. Und im Immobilienbereich geht es um bezahlbare Wohnungen, sowohl zum Kauf aber auch zur Miete. Denn nur wenn das Wohnen bezahlbar wird, und um beim Beispiel mit den Kindern zu bleiben, werden die Chinesen auch bereit sein, wieder mehr Kinder zu bekommen, was für die chinesischen Wachstumsziele sehr wichtig ist.

China: Veränderung BIP-Wachstum und Industrieproduktion

Entwicklung von Chinas BIP-Wachstum und Industrieproduktion im Vergleich.

Kommandowirtschaft oder strategische Neuausrichtung?

Die neue chinesische Wirtschaftsförderung mit dem Label Regulationspolitik zu versehen oder als Kommandowirtschaft zu brandmarken, greift daher möglicherweise zu kurz. Die KP verfolgt neue strategische Ziele, die unseren westlichen Zielen inzwischen sehr ähnlich sind: Das ökonomische Wachstum Chinas soll auf Stabilität, Kontinuität, Qualität und Nachhaltigkeit ausgelegt werden. Inzwischen nehmen auch der soziale Aspekt, Prosperitätsziele und das Thema Umwelt einen prominenten Platz im Zielekatalog der chinesischen Führung ein. Das wirtschaftliche Wachstum wird sich daher in China weiter verlangsamen. BIP-Zuwachsraten im zweistelligen Bereich gehören der Vergangenheit an und auch Zuwächse von deutlich über 5 Prozent werden zukünftig nur schwierig zu erzielen sein. Die Phase der hohen Wachstumsraten und des Schnell-Aufholen-Müssens – noch unter Deng in den 80-er Jahren präferiert – ist vorbei. Auch die Phase des Kopierens westlicher Produktionsprozesse ist nicht mehr angesagt. Und dennoch hat der Westen Angst, langfristig die Technologieführerschaft an China zu verlieren. Selbst wenn das tatsächlich passieren sollte, müssen wir deshalb das chinesische Modell kopieren, was beim Blick auf die nackten Zahlen ein Erfolgsmodell zu sein scheint?

Wir sagen: Nein. Die historischen Theoretiker der Volkswirtschaftslehre sagen nämlich, dass kein Marktteilnehmer den Markt dominieren darf, auch nicht als Schiedsrichter. Und sie betonen besonders, dass nur der Markt die einzig wahren Knappheitspreise vorgeben kann und effizient entscheidet, was in welchem Umfang für wen zu welchen Kosten produziert werden soll. Und wenn der Markt sich irrt, korrigiert er sehr schnell, während eine KP möglicherweise Jahre braucht, bevor sie einschreitet, was man allerdings der EU-Kommission mitunter auch unterstellen darf. Doch um hier einschreiten zu können, stellt der Westen dem Ansatz der Einheitspartei das Regulativ der Wahlen gegenüber, was einen Wettbewerb der Meinungen beinhaltet. Hierdurch kann das Wahlvolk letztendlich weitreichende gesellschaftspolitische Entscheidungen treffen, die es in China nicht treffen kann. Das ist ein Privileg, welches wir im Westen selbstverständlich nicht missen wollen. In China denkt man anders.

Entwicklung Beschäftigtenanteil China, Deutschland, USA im Vergleich

Entwicklung des Anteils der Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung im Vergleich.

Ähnliche Fragestellungen in beiden Systemen

Aber es geht nicht darum, wessen System überlegen ist. Wir sollten akzeptieren, dass die ökonomischen Wege zur Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt aufgrund des soziokulturellen Hintergrunds sehr unterschiedlich sind. Wir sollten aber vergleichen, was in welchem System besser und was schlechter funktioniert und dann möglicherweise entsprechende Anpassungen vornehmen. Denn die Fragestellungen sind in beiden Systemen sehr ähnlich: Auch bei uns geht es bei den langfristigen Themen um die Bewältigung des demographischen Wandels bei gleichzeitiger Stabilisierung des Wirtschaftswachstums, der Chancengleichheit und des Umweltschutzes. Kürzerfristig gedacht, stehen Themen wie bezahlbarer Wohnraum und die Eindämmung der Marktmacht der großen US-Internetgiganten im Vordergrund. Im Moment scheint es so, als habe China bei einigen dieser Themen die Nase vorne. Aber das ist nur eine Momentaufnahme und auch die kann täuschen.

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Über den Autor

Dr. Otmar Lang

Dr. Otmar Lang ist Chefvolkswirt und Direktor Research der TARGOBANK. Der promovierte Ökonom arbeitete zunächst als Fondsmanager für institutionelle Kunden in Frankfurt. Von 1996 bis 2007 war er dann für die Deutsche Bank im Bereich Bond-Research zuständig. 2007 wechselte er als Chefvolkswirt zur damaligen Citibank nach Düsseldorf.

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