Zeiträuber

Bedrohungspotential und Abwehrstrategien

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Zeit ist für jeden ein wertvolles Gut. Im Alltag, wie im Arbeitsleben. Immer wieder versuchen Zeiträuber ein Stück unserer Zeit für sich zu ergattern. Gar nicht so einfach, immer die richtigen Abwehrstrategien zu entwickeln und umzusetzen…

Zeit ist ein wertvolles Gut, dass es zu schützen gilt

Zeit ist ein wertvolles Gut, dass es gegen Zeiträuber zu schützen gilt.

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„Nicht schon wieder!“.

Claas Beier machte sich hinter seinem Schreibtisch ganz klein. In seinem Innersten verfluchte er die Genies, die der Bank das Open-Space-Konzept verpasst hatten. Jetzt konnte ihn jedermann schon von weitem sehen.

Und jede Frau!

Denn jetzt kam Vesna! Die Utility-Managerin, ihres Zeichens die Qualitätsbeauftragte der externen Reinigungsfirma der Bank, kontrollierte die Arbeit ihrer Fachkräfte jeden Morgen gnadenlos. Gerüchte besagten, sie wäre in ihrer Heimat Universitätsprofessorin oder Raketenwissenschaftlerin gewesen, doch Genaueres wusste niemand. Ihr silberhelles, in die Büroräume geschmettertes „Hallohallo!“ war normalerweise die Ankündigung einer intensiven Begegnung der dritten Art, denn Vesna war Spezialistin für sprichwörtlich Alles. Und scheute auch den wissenschaftlichen Diskurs mit den Bankfachleuten nicht. Naja – zumindest das, was sie für wissenschaftlich hielt.  Andersrum – also von Seiten der diskursierten Personen – wurde das schon differenziert betrachtet.

Ja, die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank war schon eine Belastung für die Sparer und Anleger! Andererseits – wie Vesna niemals müde wurde zu betonen – was sollte Mario schon anderes tun, um die Wirtschaft weiter mit billigem Geld zu versorgen? Außerdem war Herr Draghi auch Managing Director bei Goldman Sachs International und, Hand aufs Herz, würde sich ein amerikanisches Unternehmen jemals in seiner Personalauswahl irren?

Prototyp eines Zeiträubers

Eben. Vesna hatte nicht nur die Gabe, zu jeder Sache eine eigene Meinung zu haben und diese auch mit Nachdruck zu vertreten. Sie war auch in ihrer Argumentation nachdrücklich und scheute nicht davor zurück, ihre Argumente – wenn es denn sein musste – langatmig zu erläutern. Sie war der Prototyp eines modernen Räubers: eines Zeiträubers. In ihrem Fall natürlich eine begnadete Räuberin und Piratin im Geiste.

Gerade wegen dieser speziellen Gabe waren die Diskussionen für jene, die nicht das Glück hatten, rechtzeitig das Weite zu suchen, gelinde gesagt: herausfordernd.

Eine Doktrin gegen Zeiträuber

Die Leiterin der Volkswirtschaftlichen Abteilung, eine der von ihr am häufigsten heimgesuchten Bankeinheiten, hatte zu diesem Thema von ihrem Chefstrategen die sogenannte Vesna-Doktrin erarbeiten lassen. Diese war im Grunde genommen genauso einfach wie auch genial.

Stufe 1: Die „Flucht-Strategie“

Wer noch die Zeit finden würde, sich aus dem Staub zu machen, musste sofort den Arbeitsplatz verlassen. Als Zeichen für eine drohende Vesna-Gefahr wurde der allerorts bekannte Warnruf des Waldkauzes vereinbart. Sammelstelle der im Fachjargon „Survivor“ genannten Personen war ein kleines, aber gemütliches Café am Ende der Straße, in dem der ranghöchste Davongekommene der restlichen Mannschaft im Angedenken an die Zurückgelassenen ein Glas Sekt zu spendieren hatte.

Stufe 2: Die „Besetzt-Strategie“

Diejenigen, die bei Stufe 1 versagt hatten, mussten ein nervenaufreibendes Prozedere über sich ergehen lassen. Diese als „Remainer“ bezeichneten Teammitglieder erhielten eine Liste von Personen (Codename „Chatterbox“), die sie unverzüglich anzurufen hatten, sollte Vesna ihre Schreibtische ansteuern. Das Trickreiche dabei: mit diesen Leuten konnte man endlos lange Telefonate führen, hätte daher – logischer Weise – keine Zeit für ein kleines Streitgespräch mit Vesna über die völlig überzogene Geldmarktpolitik der chinesischen Zentralbank.

Stufe 3: Die „Defcon1-Strategie“

Defcon – die Abkürzung von Defense Condition (eine Bezeichnung für den  Alarmzustand der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika) war sozusagen das „last resort“, der letzte Ausweg oder die Ultima Ratio der sorgsam ausgearbeiteten Vesna-Doktrin. Defcon1 bezeichnet den Zustand der maximalen Einsatzbereitschaft bei den US-Streitkräften, der – auf die Vesna-Doktrin umgesetzt – ebenso drastische Gegenmaßnahmen vorsah: nämlich die Auslösung eines Feueralarms. Zugegebener Weise etwas extrem, aber die Volkswirte hatten errechnet, dass ein so filigranes Konstrukt wie eine Bank einen Probealarm besser verkraften würde als die ungehemmte Attacke einer Zeiträuberin wie Vesna.

Wer also – so wie es Claas Beier gerade eben erlebte – Stufe 1 und 2 verschlafen hatte, musste zu drastischen Mitteln greifen und Stufe 3 auslösen.

Die Gegenstrategie der Zeiträuber

Kawumm!

Und schon stand die Utility-Managerin vor seinem Schreibtisch und blickte ihm mit ihren traurig-braunen Augen unbarmherzig an.

„So fühlt sich also das Ende an!“, dachte Claas mutlos, während er unbeholfen zum Notschalter für den Feueralarm schielte. Er konnte ihn gut sehen, und doch war er im Moment für ihn fast unerreichbar!

„Guten Morgen! Alles in Ordnung mit ihrem Arbeitsplatz?“ Vesna spielte anscheinend die Harmlose.

„Ist… ist das eine Fangfrage?“, stotterte Claas.

„Nö! Wollte nur mal bei ihnen vorbeischauen!“

Die akademisch geschulte Raketenwissenschaftlerin, oder wie immer ihre einstige Berufsbezeichnung gelautet haben mochte, taxierte ihr Gegenüber und befand ihn für nicht herausfordernd genug. Leichte Opfer machten Zeiträubern keinen Spaß. Sie brauchten den Stress, die Zeitnot der von ihnen Geplagten. Die fahrigen Gesten und hektischen Blicke der Zeitberaubten. Ein Herr Beier war keine Aufgabe für eine Piratin ihres Kalibers.

„Einen schönen Tag noch!“, rief sie dem verdutzt dreinblickenden Claas zu, während sie kehrt machte und durch das gespenstisch leere Großraumbüro dem Ausgang zustrebte.

In einem kleinen, aber gemütlichen Café am Ende der Straße wartete eine ganze Schar „Survivor“ auf sie, schutzlos und ohne Chance zu entkommen.

Heute würde ein guter Tag werden!

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Über den Autor

Michel Lemont

Michel Lemont ist seit mehr als 35 Jahren in Bankenwesen tätig. Er war in verschiedenen Bereichen der Finanzindustrie tätig, unter anderem im Vertrieb, im Marketing und zuletzt im Umfeld des Zahlungsverkehrs. In seinen Aufgabenbereich fallen unter anderem regulatorische Themen, das Management von Zahlungsverkehrs-Infrastrukturen sowie die Arbeit in nationalen und internationalen Gremien im Bereich Payments. Ein besonderes Anliegen sind ihm Innovationen im Bankenbereich und das "Querdenken". Michel Lemont ist Autor des Buches „Bankers have more fun“ und betrachtet das Bankwesen gerne von der humoristischen Seite. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.

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