Tokenisierung von Finanzinstrumenten: Chaos droht!

Blockchain und die Zukunft des Kapitalmarkts

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Wie entwickelt sich die Finanzbranche angesichts Kryptos und Blockchain-basierter Finanzapplikationen? Bei einer Tokenisierung von Finanzinstrumenten ohne standardisierte Open Source Finanzkontrakte droht den Kapitalmärkten ein Chaos ungekannten Ausmaßes.

Tokenisierung von Finanzinstrumenten mit Blockchain-Technologie

Für die Tokenisierung von Finanzinstrumenten mit Blockchain-Technologie ist ein einheitlicher Standard erforderlich.

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Blockchain basierte Finanzapplikationen werden als die Zukunft des Finanzsystems gehandelt.  Firmen welche digitale Assets verwahren, handeln oder Startups mit verwandten Geschäftsmodellen sind mit Milliarden bewertet.  Die Schweiz, Deutschland und nun auch die EU,  haben ausgezeichnete Voraussetzungen geschaffen um die führende Rolle in den zukünftigen globalen Kapitalmärkten zu übernehmen.

Um jedoch das Potenzial zur Innovation, Transparenz, und Kostenreduktion im Handel und der Verbriefung von Finanzinstrumenten auszuschöpfen, muss die technische und inhaltliche Umsetzung von DLT Systemen weiter als bisher gedacht werden.

Tokenisierung als Lösung für alles

Blockchain wird als Zukunft des Finanzwesens gehandelt und scheint mittlerweile ebenfalls als Heilmittel für alle Probleme im Finanzbereich betrachtet zu werden.  Von  „bank the unbanked”, zu tieferen Gebühren, zu personalisierten und verbrauchsgesteuerten Versicherungen, sollen Blockchain-basierte Anwendungen die verkrusteten alten Systeme erneuern oder gar alle Intermediäre komplett neu ersetzen.

Die Lösung soll in der Tokenisierung von ALLEM liegen.  Picassos, Autos, Videosequenzen, Baupläne, digitale Kunst sollen tokenisiert werden und somit einfacher handelbar und verbrieft werden können.  Jedoch steckt die Tokenisierung von Finanzinstrumenten noch in den Anfängen.

Dabei hat die Finanzindustrie dank der algorithmischen Natur der Finanzkontrakte die besten Voraussetzungen von der Blockchain Technologie zu profitieren. Die Vorteile ergeben sich aus den Elementen und Funktionsweisen von Blockchains (und DLT – Distributed Ledger Technology), unter anderem Instant Settlement (auch treffend vom CEO der Seba Bank AG Guido Bühler als ““the trade is the settlement” beschrieben), wahlweise programmierbare Transparenz oder Vertraulichkeit, Automatisierung von Prozessen, und Verifizierbarkeit (z.B. durch Unveränderbarkeit in einer Public Blockchain oder einem DLT Register betrieben von einem Konsortium).

Sehr viele Aktivitäten gibt es im Zahlungsbereich (Mobile Wallets, Remittance, Abwicklung von Crypto und Fiat Transaktionen, erste Bitcoin basierte Lightning Infrastrukturen), und in der Verwahrung von digitalen Assets.

Derweil steckt die Infrastruktur für Blockchain basierte Geld- und Kapitalmarkttransaktionen, Derivate, etc., noch am Anfang.  Sekundärmärkte für tokenisierte Finanzinstrumente entstehen erst und am Primärmarkt hat sich noch wenig Dynamik entwickelt.

Während die rechtlichen Voraussetzungen in Deutschland und der Schweiz für eine Tokenisierung von Finanzwerten nun geschaffen sind, greift die technische und inhaltliche Umsetzung viel zu kurz.  Ja es besteht sogar die Gefahr, dass die neue Infrastruktur ein wesentlich chaotischeres Abbild des heutigen Finanzwesens wird.

Gefahr durch dumme Token und ungenügende Maschinen Lesbarkeit

Die meisten Security Token, die einen Finanzwert repräsentieren, sind gegenwärtig dumm.  Die Emittenten und Handelsplätze fokussieren zumeist auf technische Fragen der Token selbst: Wie kann der Token gehandelt werden? Wie und wo wird verwahrt? Wer hat wann wie Zugriff auf das Register welches das Eigentum verzeichnet? Wie sieht Delivery vs. Payment aus?  Welche Stückelung ist zugelassen?

Dies sind alles wichtige Fragen für die Funktionalität der neuen Infrastruktur.  Über die Natur und Eigenschaften des eigentlichen Finanzwerts der auf diesen Handelsplätzen ausgetauscht wird, sagen diese Tokens jedoch meist nichts oder sehr wenig aus.  Um das Potential für fundamentale Innovation der neuen DLT basierten Kapitalmärkte zu realisieren, muss jedoch die technische Implementierung eines Security Tokens mehr sein als nur ein Eintrag in einem DLT Register welches auf ein elektronisch verwahrtes Stück Papier (i.e. ein Term Sheet in PDF) verweist.

Drei Szenarien zur Zukunft der Tokenisierung von Finanzinstrumenten

Die folgenden drei Szenarien zeigen auf, wie die Situation heute aussieht, welche Konfusion sich aus der individuellen Programmierbarkeit von Tokens ergibt und wie die Zukunft mit Smart Financial Contracts auf Blockchains aussehen sollte.

  • Szenario 1: Die gegenwärtige Realität in der Security Token Welt;
  • Szenario 2:   Die Zukunft wird komplexer als die Gegenwart;
  • Szenario 3: Der standardisierte, Open Source Smart Financial Contract auf der Blockchain.

Szenario 1: Die gegenwärtige Realität in der Security Token Welt

Nehmen wir als erstes Beispiel eine Tranche eines Bonds, welcher als Security Token auf einer Handelsplattform angeboten wird.  Ein Käufer kann sich nun zwar dank den Eigenschaften der Blockchain mit T+0 (also sofort) eine solche Tranche kaufen.  Wie aber die zukünftigen Cash Flows dieses Bonds ausgestaltet sind und welche Bewertung sich daraus ergibt, muss durch Analysten in Kleinarbeit aus den schriftlichen Term Sheets zusammengetragen, und dann berechnet werden (meist in Excel).  Diese Rechnerei und (Re-)Konstruktion der zukünftigen Cash Flows (um unter Annahmen einen Wert zu bestimmen) ist auch die Norm in reifen und existierenden Märkten, nur dass es hier mit Telekurs, Bloomberg, Refinitv, etc. hier bereits Lieferanten von Informationen gibt, die den Käufern einen gewissen Teil der Kleinarbeit gegen Bezahlung von  Gebühren abnimmt.

Szenario 2:   Die Zukunft wird komplexer als die Gegenwart

Als zweites Beispiel nehmen wir an, ein Emittent von Security Tokens hat, neben den technischen Aspekten von Verwahrung, Trading, Stückelung, etc. auch noch eine Beschreibung der Cash Flows in digitaler Form, also Formeln mitgegeben (z.B. wie eine Zinszahlung bei einem Bond oder wie Amortisation bei einer Annuität berechnet wird).  Zahlreiche Attribute z.B.  day count method, Zinsberechnung, Endwert Berechnung, Cap, Floor, etc. müssten dann hier definiert sein und mit Algorithmen konsistent verknüpft werden.

Es ist zu bezweifeln, dass 25 jährige (Solidity) Programmierer hier alle Aspekte eines Finanzinstruments konsistent abbilden können. Selbst wenn eine komplette Beschreibung erfolgen würde, besteht die Gefahr, dass jede Tokenisierungsplattform oder sogar jeder Emittent oder jeder Programmierer die Beschreibung der Cash Flows des jeweiligen Instruments (z.B. eines Bonds) nach einer eigenen Definition gestaltet.  Jeder Security Token wäre dann wie ein kleines Kernbankensystem mit eigenen Definitionen und Berechnungsmethoden für sich selbst. Die Folge wäre Tausende oder Millionen von verschieden definierten Bonds, gelistet auf DLT basierten Handelssystemen.

Eine derartige Komplexität ist weder für Menschen noch Maschinen  mit vernünftigem Aufwand zu bewältigen.  Und in einer solchen Welt müssten dann wieder die Big Four  als  assurance Dienstleister engagiert werden (z.B. ist Bond XYZ konsistent programmiert; wie berechnen sich die Cash Flows? Welche Endwertzahlung ist wann wie fällig?) und die altgedienten und neuen Informations Lieferanten als Übersetzer von Term Sheets einspringen.

Security Tokens wären in einem solchen Szenario nur mit großem Aufwand vergleichbar, nicht interoperabel, und Stückelungen und Verbriefungen von Portfolios verschiedener Emittenten zu tieferen Kosten als in der heutigen aufwändigen Legacy Welt werden schlichtweg unrealistisch.  Ein Mangel an Liquidität auf DLT basierten Handelsplätzen wäre das Resultat.  Die neue tokenisierte Version der Kapitalmärkte wäre eine schlechte und wesentlich chaotischere Kopie des heutigen Systems.  Die Adoption der neuen von Investoren finanzierten Infrastruktur wäre in Frage gestellt.  Denn wieso sollten Finanzmarkt Akteure überhaupt auf diese neuen Rails wechseln, wenn keine tieferen Kosten und kein höherer Automatisierungsgrad erreicht werden kann?

Eine Aussicht auf substanzielle Automatisierung und Komplexitätsreduktion der Finanzinstrumente die auf den gegenwärtig geplanten und existierenden  DLT  Systemen für  Handelsplätze gehandelt werden, besteht leider nicht.  Das ist nicht die Schuld der Technologie Provider, sondern der Akteure in der Finanzwelt, welche den Kern ihrer Aufgabe verkennen oder noch nicht entdeckt haben:  Den Austausch von Wert (abgeleitet aus Cash Flows über Zeit hinweg) mittels eines Vertrages – des Finanzkontrakts.   Die Rückbesinnung auf diese fundamentale Komponente des Finanzwesens muss auch in der neuen DLT und Blockchain basierten Welt die Basis für Innovation sein.

Szenario 3: Der standardisierte, Open Source Smart Financial Contract auf der Blockchain

Die Bezeichnung Smart Contract wird in der Blockchain Welt relativ unpräzise verwendet.  Vitalik Buterin selbst bereute bereits 2018 diesen Begriff eingeführt zu haben.

Eine Programmiersprache ist nötig, aber nicht ausreichend um Smart Contracts zu definieren. Damit ein Stück Software (z.B. ein Token) wirklich zu einem Smart Contract wird, reicht die Programmierbarkeit nicht, es gilt zusätzlich die Bedingungen von Nick Szabo für Smart Contracts zu beachten. Ein Smart Contract ist dann vorhanden wenn folgende vier Bedingungen erfüllt sind: Observability, Verifiability, Privity, und Enforceability.

Die Effizienz der neuen Infrastruktur dank Finanzkontrakten ergibt sich aus der Beobachtbarkeit (Observability) auf der Blockchain und der Nachvollziehbarkeit (Verifiability) der vertraglichen Abmachungen auf Basis eines wohl definierten, publizierten, programmierten und unabhängig nachrechenbaren Financial Smart Contracts.

Konkret auf die Anwendung eines Bonds bezogen, bedeutet dies, dass sowohl vergangene Zahlungen nachvollziehbar als auch die erwarteten Zahlungsströme in der Zukunft maschinenlesbar und maschinenverarbeitbar im Smart Contract vorhanden sein müssen, ansonsten eine Überprüfung der Vertragsbedingungen (z.B. wieviel Zins ist wann fällig und von welcher Partei an welche Partei) nicht automatisiert erfolgen kann.  Diese Verifizierbarkeit der Cash Flows (und folglich der Berechnung des Finanzwerts, und weitere abgeleitete Zahlen wie Sensitivitäten und Risiken)  ergibt sich aus den Eigenschaften von Blockchains UND der Verwendung des Open Source ACTUS Standards, welcher die Cash Flows definiert.

Eigenschaften eines tokenisierten Smart Financial Contracts – der gescheite Security Token

Zusätzlich zum Missverständnis, dass bereits die Programmierbarkeit eines Tokens genügt um einen Smart Contract zu generieren, stiftet die “Tokenisierung von Assets” Verwirrung.  Was ist denn nun genau tokenisiert?  Bei einem Cryptopunk, ist es die nativ digitale Kunst, welche durch den Token besitzt werden kann.  Bei einer Flasche Wein, die auf einem Marktplatz angeboten wird, kontrolliert der Besitz des Tokens ein definiertes Recht auf die Flasche Wein.  Bei Investments, z.B. Immobilien,, bildet der Token vielfach Aktien eines SPV ab.  Ein Token bildet in diesen Fällen nur die Aktivseite (asset) ab.

Bei Finanzwerten, die mittels eines intelligenten Security Tokens abgebildet werden, handelt es sich aber um die Abmachung zum Austausch Wert, in Form von Cash Flows über Zeit.   Im Finanzwesen ist deshalb die Darstellung der Passiv- und Aktivseite zwingend. Damit DLT und Blockchain basierte Systeme auch wirklich das Versprechen auf Innovation im Finanzwesen einlösen können, müssen mindestens drei Aspekte abgebildet sein:

  1. die Information welche Entity die Verpflichtung hat zu bezahlen, i.e. Passiv/Liability Seite,
  2. die Information, welche Entity das Recht hat Zahlungen zu erhalten, i.e. die Aktiv/Asset Seite, und
  3. eine Definition und algorithmische Beschreibung (d.h. Mathematische Darstellung) der vertraglichen Abmachungen aus denen sich die zukünftigen Cash Flows ableiten (z.B.  mit ACTUS)

Der Schlüssel zum Erfolg der neuen DLT basierten Kapitalmarkt Infrastruktur liegt also in der Maschinen Lesbarkeit und Maschinen Verarbeitbarkeit dieser Informationen. In Kombination mit den Eigenschaften von Blockchains, besteht jederzeit Klarheit welche Parteien die Verpflichtung zum Zahlen halten und welche Parteien das Recht auf den Erhalt der Zahlungen haben.  Dank der algorithmischen Definition der Cash Flows durch ACTUS, kann der Wert des Finanzinstruments jederzeit, in near-real Time, unter Einbezug von externen Risikofaktoren (Marktrisiken, Gegenpartei Risiken, Behavioural Risk) bestimmt werden.

Das Versprechen auf Automatisierung, Reduktion von Komplexität und Kosten speziell im Handel als auch in der Verbriefung von DLT und Blockchain basierten Finanzinstrumenten wird nur mit Smart Financial Contracts, welche diese Eigenschaften besitzen, erfüllt werden können.

Fazit: Smart Financial Contracts als Voraussetzung für den Quantensprung

Der Fokus von Blockchain Applikationen im Zahlungsbereich und die Konfusion, die sich aus der Tokenisierung von Assets ergibt, drohen die neu entstehende Blockchain basierende Kapitalmarkt Infrastruktur eine schlechte Kopie des heutigen Finanzwesens werden zu lassen.

„Nur” instant Settlement und transparente Besitzverhältnisse von tokenisierten Finanzinstrumenten auf DLT Plattformen werden für eine breite Adoption dieser neuen Technologie nicht ausreichen.

Smart Financial Contracts, welche den gegenwärtigen Stand der Zahlungen, die zukünftigen Cash Flows, und die Besitzverhältnisse sowohl der Aktiv- wie auch der Passivseite Maschinen Verarbeitbar abbilden, sind die kritische Voraussetzung um den erhofften Quantensprung durch Blockchain im Finanzwesen zu erreichen.

Wie eine solche Zukunft in konkreten Applikationen wie Fahrzeugleasing und Krediten an den Mittelstand aussehen wird ist im folgenden Video zu sehen:

Über den Autor

Ralf Kubli

Ralf Kubli ist im Vorstand der Casper Association und bei mehreren Blockchain-Firmen tätig, unter anderem als Verwaltungsrat. Er studierte in Zürich Geschichte und Politologie und absolvierte ein MBA an der Cornell University. Seine berufliche Laufbahn begann er im Bereich M&A und im Management in der traditionellen Industrie.

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