Die Begegnung der vierten Art

Mit Jean-Claude Juncker auf dem Flughafen

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Die Europäische Kommission macht sich viel Arbeit bei der Regulierung des Bankwesens. Dass die Kritik daran nicht zu laut wird, ist Chefsache, wie eine Begegnung mit dem Präsidenten Jean-Claude Juncker zeigt.

Banking mit einem Augenzwinkern

Lustiges, Humorvolles und mitunter auch Nachdenkliches für Banker
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Der Brüsseler Flughafen ist ein monströses Bauwerk. Ehrlich gesagt: Liebe auf den ersten Blick war es nicht. Zumindest nicht für mich. Bedenkt man aber die enorme Wichtigkeit des Verkehrsknotenpunktes für die europäische Union, so hat man sicherlich Nachsicht mit den Verspätungen, Staus und langen Warteschlangen.

Wer öfters nach Brüssel reist, tut gut daran, sich genügend Lesestoff für Wartezeiten mitzunehmen. Oder man freut sich auf spontane Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen, die, würde man ein Treffen vereinbaren, niemals sehen würde.

Mein Flug würde heute sehr spät am Abend Brüssel verlassen, also hatte ich Zeit und schlenderte in aller Ruhe in Richtung meines Gates, als ich eine aufgeregte Stimme hinter mir vernahm.

„Michel, Michel.“

In der Erwartung, einem lieben Arbeitskollegen zufällig in die Arme zu laufen, drehte ich mich um. Und da kam er auch schon angelaufen. Ich stutzte, denn hinter mir her rannte niemand Geringeres als Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission. Für sein Alter war er erstaunlich flott unterwegs und hängte auch seine beiden Sekretäre ab, die – hinter ihm herlaufend – Akten und ein Notebook schleppten.

Verstört sah ich mich um. Welchen Michel meinte er? Doch sicherlich nicht mich. Es muss erwähnt werden, dass Monsieur Juncker und ich uns gesellschaftlich noch nicht begegnet, geschweige denn offiziell vorgestellt worden waren. Mein Erstaunen ob der vertrauten Anrede ist somit sicherlich nachvollziehbar.

Jean-Claude Juncker hatte sich vor mir aufgebaut und somit jeden Zweifel zerstreut, dass es sich um einen anderen Michel handeln könnte. Seine Assistenten waren in einem gewissen Abstand keuchend stehen geblieben und versuchten, ihre Atmung in den Griff zu bekommen.

„Monsieur Juncker, hier liegt vermutlich ein Missverständnis vor…“, stammelte ich ungelenk.

„Nein, nein, Michel. Ich meine schon genau Dich.“ Sein Deutsch war hervorragend, wie es sich für einen Luxemburger gehörte. Er klopfte mir fest auf die Schulter und eine Sekunde lang empfand ich diese vertrauliche physische Annäherung als einen Ticken zu heftig. So als hätte er die freundschaftliche Geste genutzt, um mir coram publico einen Klaps zu geben.

„Ich kenne dich schon, Michel.“, fuhr der Präsident fort. „Du bist ein Scherzbold, wie? Ein Humorist vielleicht?“

„Naja, ich bemühe mich, das Leben von der humorvollen Seite zu beschreiben.“ Ich hatte keine Ahnung, warum es so klang, als müsste ich mich entschuldigen.

Jean-Claude Juncker, EU Kommission

Jean-Claude Juncker ist Präsident der Europäischen Kommission
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Jean-Claude war nun ganz nahe an mich herangetreten und fingerte am Revers meines Anzuges herum. Ich konnte den Geruch von Zigarettenrauch deutlich wahrnehmen.

„Michel, du musst wissen, dass die Europäische Kommission ihre Arbeit im Bankenbereich sehr ernst nimmt. Nicht, dass wir keinen Spaß verstünden.“ Wie zum Beweis lachte er unangebracht spontan und laut. „Und wir merken schon, wenn sich jemand kritisch äußert. Auch wenn er es humoristisch verpackt.“

„Wie jetzt?“, dachte ich. Ich war mir keiner Schuld bewusst. Doch Jean-Claude hatte schon den Finger mit dem gelben Rauchfleck in die Wunde gelegt.

„Du erinnerst dich nicht? Dein Artikel wo du dich über den Regulator lustig gemacht hast, der Innovationen verordnen will?“

Tatsächlich fiel jetzt der Groschen, doch ich kam nicht zu Wort.

„War nicht lustig!“, knurrte Herr Juncker böse.

Schuldbewusst senkte ich mein Haupt und sah, dass er noch immer mein Revers zwischen den Fingern hielt und nun auch daran zog.

„Michel, ich war sehr traurig, als ich lesen musste, dass du den vielen, vielen hervorragenden Regulierungen meiner Kommission im Bankenbereich kritisch gegenüberstehst und sie gelegentlich sogar durch den Kakao ziehst.“

„Ernsthaft?“ Ich war wie vom Donner gerührt.

„Quatsch mit Soße! Ich versuche nur, höflich zu bleiben. Also, nochmal mit Nachdruck: wir mögen es gar nicht, wenn unsere visionären Regularien nicht mit der nötigen Hochachtung behandelt werden. Ich habe eine ganze Division von Leuten, die nach Miesmachern sucht und ich werde mit allen persönlich ein ernsthaftes Gespräch führen.“

Diesmal bohrte sich der rechte Zeigefinger des Präsidenten schmerzhaft in mein Sternum.

„Bei aller Hochachtung vor ihrem Job, Euer Gnaden, aber man wird doch noch seine Bedenken äußern dürfen, wenn die Bankenindustrie mehr Geld in die Umsetzung regulatorischer Anforderungen steckt als in die Entwicklung neuer Produkte.“

„Deswegen, Michel, machen auch meine Leute jetzt die Innovationen im Bankenbereich gleich mit. Aber ist das ein Grund, sich gleich mehrmals kritisch zur Situation in der europäischen Bankenlandschaft zu äußern? Und als Vortragender bei Symposien zu dem Thema hast du ja auch gemotzt.“

„Schuldig im Sinne der Anklage, aber sollten wir als Banken in Europa nicht alle die gleichen Voraussetzungen haben? Manche der Regulierungen sind wie für Großbanken gemacht und benachteiligen Sektoren mit kleineren Einheiten. Zudem kosten einige der Innovationen die Banken und damit den Konsumenten Milliarden ohne echten Gegenwert.“

„Papperlapapp! Sind wir hier im Kindergarten? Manche Strukturen werden halt verschwinden. Na und? Europa ist overbanked. Und die Konsumenten wissen ja gar nicht, was gut für sie ist. Da denkt die Kommission schon für ihre Bürger mit.“

„Tatsächlich?“

Jean-Claude´s Blick wurde steinern. Seine Augen fixierten mich und seine Stimme zitterte.

„Tatsächlich! Ich möchte nicht mehr lesen, dass du dich über unsere wundervollen Kreationen lustig machst. Meine Leute haben ein Auge auf dich. Also keine Kritik mehr an den genialen Regularien, die uns – äh – euch das Leben leichter machen sollen.“

„Und was kommt als nächstes?“ Eine Sekunde lang vergaß ich, wer vor mir stand. „Wollen Sie die Größe der Sparbücher regulieren? Oder vielleicht eine Mindestanzahl von Kunden für eine Bank? Und warum schreibt ihr Sekretär das alles mit?“

Jean-Claude wiegte bedächtig den Kopf, doch er war mit seinen Gedanken schon beim nächsten Tagesordnungspunkt.

„Du bist gewarnt. Wir haben ein Auge auf dich!“ Und bevor er sich umdrehte, flüsterte er mir noch rasch eine Frage zu.

„Hast du vielleicht eine Zigarette?“

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Über den Autor

Michel Lemont

Michel Lemont ist seit mehr als 35 Jahren in Bankenwesen tätig. Er war in verschiedenen Bereichen der Finanzindustrie tätig, unter anderem im Vertrieb, im Marketing und zuletzt im Umfeld des Zahlungsverkehrs. In seinen Aufgabenbereich fallen unter anderem regulatorische Themen, das Management von Zahlungsverkehrs-Infrastrukturen sowie die Arbeit in nationalen und internationalen Gremien im Bereich Payments. Ein besonderes Anliegen sind ihm Innovationen im Bankenbereich und das "Querdenken". Michel Lemont ist Autor des Buches „Bankers have more fun“ und betrachtet das Bankwesen gerne von der humoristischen Seite. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.

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