Agile Methoden: Nicht unbedingt schneller, aber richtiger

Interview mit Franziska Nowak über Missverständnisse bei Scrum & Co

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Agilität und Agile Methoden sind derzeit in aller Munde. Doch die Enttäuschung ist groß, wenn sie nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Über Missverständnisse bei Scrum & Co habe ich mit Franziska Nowak von Berg Lund & Company gesprochen.

Scrum für mehr Agilität

Scrum alleine sorgt noch nicht für mehr Agilität in Banken und Sparkassen.

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Agile Methoden wie Scrum sind in aller Munde – und groß ist die Enttäuschung, wenn sie nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Häufig liegt dem ein grundsätzlicher Irrtum zugrunde: In Unternehmen wird der Begriff Sprint oft missverstanden. Scrum ist nicht der Garant dafür, Dinge schneller zu tun, sondern vielmehr ein Weg, um schneller die richtigen Dinge zu tun.

Interview mit Franziska Nowak, Senior Consultant bei Berg Lund & Company

Warum Sprint in der Logik des agilen Arbeitens nicht unbedingt schnell bedeutet, erläutert Franziska Nowak von Berg Lund & Company im Interview. Sie ist Certified Scrum Master und berät als Senior Consultant u.a. Großbanken unter Einsatz von Methoden des agilen Managements. Sie hat einen Master of Science im Bereich Management und Strategie von der Lancaster University Management School.

Franziska Nowak - Senior Consultant bei Berg Lund & Company

Franziska Nowak ist Certified ScrumMaster und Senior Consultant bei Berg Lund & Company im Bereich Bankenberatung.

„Agil bedeutet nicht unbedingt schneller“

Der Bank Blog: Agil, das bedeutet geistig rege. Kein Wunder also, dass viele Leute glauben, dass Methoden der agilen Arbeitsorganisation wie Scrum Prozesse stark beschleunigen. Wieso geht diese Rechnung nicht auf?

Franziska Nowak: Dies ist tatsächlich eine Annahme, die ich in Unternehmen schon angetroffen habe, wenn agile Methoden erstmalig eingesetzt wurden. Ein Produkt oder eine Software schneller an den Markt bringen – das kann agile Arbeitsorganisation aber gar nicht unbedingt leisten. Methoden wie Scrum helfen vor allem dabei, sich schnell neuen Gegebenheiten durch Markt und Kunden anzupassen. Das ist ein wichtiger Unterschied.

Der Bank Blog: Wo liegt der grundlegende Unterschied bei der agilen Arbeitsorganisation mit Scrum?

Franziska Nowak: Beim klassischen Vorgehen definieren Produktmanager das Produkt zunächst bis ins kleinste Detail. Sie überlegen sich – oft mithilfe von Marktforschung –, was sie dem Kunden gut verkaufen könnten und wie viele Kunden zu welchem Preis wohl zuschlagen würden. Daraufhin schreiben die Fachabteilungen dann entsprechende Detailkonzepte und bereiten eine Vermarktung vor. Die Entwickler oder Konstrukteure entwickeln das Produkt nach den Fachkonzepten und starten die Produktion. Ganz zum Schluss kommt das Produkt auf den Markt, und es wird mit Spannung erwartet, wie er reagiert.

Bei agilen Methoden wie Scrum hingegen beziehen wir den Markt schon frühzeitig ein. Dazu gibt es außer Scrum übrigens noch weitere agile Methoden. Das Unternehmen beteiligt die wichtigsten Stakeholder aktiv an der Entwicklung und lässt sie Prototypen testen. Dann erst entscheidet das jeweilige Team, wie das Produkt im nächsten Sprint – eine Entwicklungsetappe von bis zu vier Wochen – weiterentwickelt wird und ob der ursprüngliche Plan beibehalten wird. Modifikationen am Produkt sind jederzeit möglich und werden auch umgesetzt.

„Der Einsatz von agilen Methoden reduziert das Risiko“

Der Bank Blog: Welche Vorteile bietet Scrum gegenüber dem herkömmlichen Projektvorgehen?

Franziska Nowak: Eine bessere Anpassung der Produkte an den Kunden und eine schnelle Reaktion auf Veränderungen im Markt. Daraus folgt ein geringeres Risiko, dass sich das Produkt am Markt nicht verkauft. Ein Vorteil, der sich daraus ergibt, ist ein effizienterer Ressourceneinsatz. Kommt ein Produkt beim Kunden nach wenigen Sprints nicht an, kann das Team schnell umsteuern oder verwerfen – so sparen sich Unternehmen unnötigen Entwicklungsaufwand und je nach Produkt auch Material- und Produktionskosten. Die Produktion von Prototypen und die Notwendigkeit, auch mal einen Schritt umzukehren mag einem langsamer erscheinen. Allerdings ermöglicht es Unternehmen die Funktionen zuerst umzusetzen, die der Kunde als essenziell erachtet – bei Scrum sprechen wir vom höchsten „value“ – und dabei an geplanten Kosten und Zeitplan festhalten. Es geht also darum den Nutzen mit fixen Kosten und Zeitplan zu maximieren, während klassische Herangehensweisen danach streben fix definierte Anforderungen umzusetzen und dabei Kosten und Zeitaufwände zu minimieren.

Plan-Driven vs Value-Driven approach

Bei agilen Vorgehensweisen wie Scrum wird angestrebt, den Nutzen bei fixen Kosten und Zeitplan zu maximieren, während klassische Herangehensweisen danach streben fix definierte Anforderungen umzusetzen und dabei Kosten und Zeitaufwände zu minimieren.

Ein weiterer Vorteil ist, dass das Zusammenarbeitsmodell von Scrum – zumindest für mich als Teil der Generation Y – gut zu einer modernen Arbeitswelt passt. Interdisziplinäre, kreative und eigenverantwortliche Teams, Zusammenarbeit und Kommunikation auf Augenhöhe, ohne Hierarchien. Das beschränkt sich aber sicher nicht auf unsere Generation: Ich habe auch Mitarbeiter kurz vor dem Rentenalter bei Scrum-Workshops regelrecht aufblühen sehen. Auch wenn es für viele eine sichtbare Hürde ist, sich selbst eine Lösung zu erarbeiten, die außerhalb ihres normalen Arbeitsumfelds liegt und die nicht vom Vorgesetzen vorgegeben wurde, macht es den meisten doch großen Spaß und bringt oftmals überraschende Ergebnisse.

„Scrum ist kein Allheilmittel“

Der Bank Blog: Was kann Scrum nicht?

Franziska Nowak: Scrum ist kein Allheilmittel und kein Garant dafür, dass Projekte plötzlich schneller und effizienter werden. Auch mit Scrum werden wir dem Kunden nicht jeden Wunsch von den Augen ablesen. Wenn ein Berater prophezeit, die Entwicklungsprozesse mit Scrum auf doppelte Geschwindigkeit zu beschleunigen, ist Skepsis angebracht.

Der Bank Blog: Warum ist das Sprint-Review so entscheidend? Und was muss man dabei beachten?

Franziska Nowak: Sprint-Reviews erfolgen jeweils nach Ende eines Sprints. Dort präsentiert das Team den wichtigsten Stakeholdern die Prototypen oder Zwischenergebnisse. Das Projektteam beobachtet, wie die Testgruppe mit den Prototypen umgeht: Ist die Handhabung umständlich? Oder nutzen die Tester das Produkt anders als gedacht? Fehlt ein wichtiges Feature? Sind bestimmte Features möglicherweise überflüssig?  Wie bewerten die Tester das Produkt? Dabei bekommt das Team wichtige Einblicke. Auf dieser Grundlage kann es entscheiden, wie das Produkt weiterentwickelt werden muss. So kann sich die Priorität neuer Features vielleicht verschieben oder das Team entscheidet, dass die Benutzerführung angepasst werden muss. Mit diesem iterativen Prozess stellen Projektteams sicher, dass ihr Produkt die zentralen Kundenbedürfnisse erfüllt, bevor Zeit oder Budget ausgeschöpft sind.

Hier zeigt sich ein entscheidender Unterschied zum herkömmlichen Vorgehen. Klassischerweise kann ein Produkt vor Abschluss nicht betrachtet und getestet werden, da die Anforderungen im Fachkonzept oftmals streng nach verantwortlichen Abteilungen getrennt, separat entwickelt und erst am Ende zu einem Produkt zusammengeführt werden.

„Ein bisschen Scrum oder Agilität gibt es nicht“

Der Bank Blog: Welche Voraussetzungen muss man schaffen, um Scrum erfolgreich einzuführen?

Franziska Nowak: Wichtig ist es zu verstehen, dass „ein bisschen Scrum“ in einem Projekt nicht geht. Die Logik von Scrum funktioniert umgekehrt zur bisherigen Vorgehensweise und erfordert mehr, als „Scrum“ auf ein Chart zu schreiben und den Produktmanager in Product Owner umzubenennen. Es geht nicht darum im Sinne von „doing agil“ die festgelegten Funktionen in Sprints zu packen, sondern im Sinne von „being agil“ gleichzeitig die Grundsätze des agilen Vorgehens zu verinnerlichen. Ich habe aber selbst beim Klienten schon genau das erlebt: Budget für ein agiles Projekt wird nur freigegeben, wenn alle Funktionen im Vorhinein genau bekannt sind und ein Business Case mit Marktforschung unterlegt ist. Was soll man sonst bitte in die Planung schreiben? Das klingt zynisch, ist aber in der Praxis durchaus ein Problem. Denn von der Umstellung auf agile Methoden sind alle etablierten Unternehmensprozesse betroffen.

´Doing´ Agile vs ´Being´ Agile

Die Unterschiede zwischen einer agilen Handlungsweise und einer agilen Kultur.

Noch schwieriger ist es, die nötigen kulturellen Voraussetzungen für agile Methoden zu schaffen. Ein Dozent, der weltweit Schulungen zum Thema Scrum durchführt, hat mir berichtet, dass sich nach seiner Erfahrung Deutsche generell schwerer mit Scrum tun als andere Nationen wie beispielsweise die Schweden. Das hat sicherlich mit unserem generell immer noch stark hierarchischen Unternehmensbild zu tun. Formaler Rang und Stellung haben bei uns eine große Bedeutung – Kommunikation und Zusammenarbeit funktionieren über klar abgegrenzte Aufgaben und Kontrolle des Einzelnen. So werden Loungemöbel in modernen Bürogebäuden häufig kaum genutzt, weil Mitarbeiter fürchten, dass der Chef denken würde, man mache Pause anstatt zu arbeiten. In Scrum sind Aufgaben allerdings nicht klar abgegrenzt. Im Team müssen die notwendigen Skills vorhanden sein – dann aber organisiert sich das Team selbst. Dazu braucht es gewisse Freiheiten, zum Beispiel die Freiheit, etwas auszutesten. Mikromanagement, könnte man sagen, ist der natürliche Feind von Scrum.

„Scrum muss richtig eingeführt werden“

Der Bank Blog: Was sind die größten Fehler bei der Einführung von Scrum – und wie vermeidet man sie?

Franziska Nowak: Ein oft begangener Fehler ist sicherlich, dass Unternehmen Scrum formell mit Sprints und entsprechenden Rollen einführen –  und dann wesentliche Schritte wie zum Beispiel die Reviews herauskürzen, um Zeit zu sparen. Dazu tendieren Unternehmen umso mehr, wenn ein Projekt stark im Fokus des Managements steht und schnell Ergebnisse liefern soll. Dann ist auch die Versuchung sehr groß, das Produkt kontrollieren zu wollen und selbst über die Features zu entscheiden, anstatt den Austausch mit der Zielgruppe zu suchen.

Ebenfalls problematisch ist eine Einführung ohne Schulung für Mitarbeiter und Management. Halbwissen führt zu falschen Erwartungen, die dann zwangsläufig enttäuscht werden. Ich sage hier bewusst auch Management, weil Scrum nicht nur auf der Arbeitsebene eingeführt werden kann ohne Commitment des Managements. Wenn dieses Commitment allerdings nicht auf Methodenkenntnissen beruht, kann das schnell nach hinten losgehen.

Genauso falsch ist überstürztes Handeln. Werden alle Beteiligten nicht von Anfang an mitgenommen, ist ein Begriff wie „Scrum“ schnell verbrannt und eine Umstellung wird sehr viel schwieriger. Wer den Schritt also wagen möchte, sollte das Vorhaben von vorne bis hinten durchdenken und sich bewusstmachen, dass es sich um einen massiven Change-Prozess handelt. Hier hilft auch Fehlertoleranz – keine neu erlernte Methode funktioniert über Nacht. Und Unternehmen sollten sich professionelle Unterstützung ins Boot holen, wenn sie selbst nicht viel Erfahrung mit Scrum oder sonstigen agilen Methoden haben.

Auch wenn das alles nicht einfach klingt, lohnt der Schritt. Insbesondere in schnelllebigen Märkten ermöglicht Scrum einen stetigen Abgleich mit Kundenbedürfnissen und kann so einen großen Beitrag zum unternehmerischen Erfolg leisten.

Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch

Über den Autor

Dr. Hansjörg Leichsenring

Dr. Hansjörg Leichsenring ist Herausgeber des Bank Blogs und der Finanzbranche seit über 30 Jahren beruflich verbunden. Nach Banklehre und Studium arbeitete er in verschiedenen Positionen, u.a. als Direktor bei der Deutschen Bank, als Vorstand einer Sparkasse und als Geschäftsführer eines Online Brokers. Als Experte für Strategien in den Bereichen Digitalisierung, Innovation und Vertrieb ist er gefragter Referent und Moderator bei internen und externen Veranstaltungen im In- und Ausland.

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