10 Jahre nach der Lehman-Pleite: Die Ruhe vor dem Sturm?

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Die relative Ruhe an den internationalen Börsen könnte sich schon bald als brüchig erweisen. JP Morgan warnt vor schweren Einbrüchen in Folge einer globalen Liquiditätskrise. Namhafte Ökonomen sehen die Gefahr massiver Verwerfungen. Die EZB hält einen Immobilien-Crash in Europa für möglich. 

Steht uns eine neue Finanzkrise bevor?

Zehn Jahre nach der Lehman-Pleite sind am Horizont der Märkte und Börsen Anzeichen einer neuen Finanzkrise zu erkennen.

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Globale Liquiditätskrise?

Für Anleger ist die Lage –zurückhaltend formuliert – unübersichtlicher geworden. Immer öfter werden von mehr oder weniger kundiger und unabhängiger Hand Krisen-Szenarien an die Wand gemalt. Die Schwierigkeit besteht darin, zwischen begründeten Warnungen und kommerziellen Manipulationen zu unterscheiden. Die (relative) Seriosität der Absender hilft naturgemäß bei der Selektion.

In diesem Sinne ernst zu nehmen ist die amerikanische Großbank  JP Morgan, die bereits 2008 vor der kurz danach ausgebrochenen Finanzkrise gewarnt hatte. Jetzt hat sich das Institut erneut mit einer Alarmmeldung an die Öffentlichkeit gewandt. Die Bank erwartet den baldigen Ausbruch einer globalen Liquiditätskrise sowie schwere Einbrüche an den weltweiten Aktienmärkten. Der Chefanalyst geht davon aus, dass die US-Zentralbank FED ab Kursverlusten von etwa 40 Prozent  an den Aktienmärkten notfalls direkt Aktien zur Stabilisierung aufkaufen werde. Vor diesem Hintergrund skizziert er folgendes Szenario: „Plötzlich  ist jeder Pensionsfonds in den USA schwer unterfinanziert, Investoren verfallen in Panik und die Privatanleger ziehen sich zurück. Wenn Sie eine solche schwere Krise haben, wie unterbrechen Sie dann den Teufelskreis? Sie könnten die Wirtschaft mit Steuersenkungen – vielleicht sogar bis in den negativen Bereich – stimulieren. Ich denke, dass das Wahrscheinlichste eine direkte Intervention der Zentralbank sein wird – vielleicht bei Anleihen, vielleicht bei Krediten und vielleicht bei Aktien.“ Es komme jetzt darauf an, wie schnell die FED die Leitzinsen anheben und die Bilanzsumme abbauen werde. Die Risiken einer globalen Krise würden ab Mitte 2019 steigen.

Zusätzliche Gefahren im Sinne einer Abwärtsspirale verursacht – nach Expertenmeinung –  der rasante Anstieg passiver ETF-Fonds und des automatisierten Computerhandels, über die – im Gegensatz zu 2008 – bereits zwei Drittel aller weltweiten Anlagen gehandelt werden. Hier drohen Kettenreaktionen mit fataler Eigendynamik. Die Krise könne zu sozialen Spannungen führen, welche „ jenen vor 50 Jahren im Jahr 1968 ähneln“ . Sollten die Zentralbanken die Märkte beruhigen können, dann könne der Status Quo erhalten werden. „Wenn sie es nicht schaffen, dann taumeln wir in die Rezession, soziale Unruhen und noch weitere disruptive Entwicklungen, welche die Gewinne für eine sehr lange Zeit negativ beeinflussen werden.“

Weltweite Verschuldung von 247 Billionen Dollar

Auch William White, der frühere Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, sieht eine Finanzkrise am Horizont, die die Dimensionen des Crashs nach der Lehman-Pleite übertreffen könne.  Die Probleme, die 2008 die Krise ausgelöst hätten, seien nie bewältigt worden, sondern hätten sich noch verschärft. Das damalige Krisen-Management habe dazu geführt, dass die Schulden – vor allem in China und den Schwellenländern – heute höher seien als je zuvor. Die vorsichtigen Zinserhöhungen der amerikanischen Notenbanken stärkten den US-Dollar, was es allerdings Ländern wie der Türkei erschwere, ihre Dollar-Schulden zu begleichen. Die Folge: Seit Januar 2018 haben die Aktienmärkte der Schwellenländer im Durchschnitt 20 Prozent verloren.

Jürgen Stark, der ehemalige Chefvolkswirt der EZB, warnt vor einer gefährlichen weltweiten Schuldenblase, die durch die Politik des billigen Geldes entstanden sei.  Stark war 2011 genau aus diesem Grund von seinem Amt zurückgetreten. Der Ökonom bringt die aktuelle Lage so auf den Punkt: „Die weltweite Verschuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten beträgt nach Angaben des Institute of International Finance über 247 Billionen Dollar. Das sind 318 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: 1997 lag die globale Verschuldung bei 70 Billionen, 2007 – also vor der Lehman-Krise – bei 162 Billionen Dollar. Sie hat sich also in zwei Jahrzehnten mehr als verdreifacht.“  Mittlerweile führe jede noch so kleine Zinserhebung zu einer kaum verkraftbaren Belastung der Staatshaushalte. Außerdem habe die extrem lockere Geldpolitik die überfälligen Strukturreformen vor allem in den südlichen EU-Staaten verschleppt. Diese Geldpolitik schaffe wie eine Droge Abhängigkeit. An den Finanzmärkten spiegelten sich die Risiken nicht mehr angemessen in den Zinsen wider. So verliere der Zins seine Signal- und Steuerungsfunktion, was  Fehlentscheidungen bei Investitionen begünstige. Die Verschuldung in China betrage mittlerweile 220 Prozent des BIP. Das dortige Bankensystem sei auf Sand gebaut.

Auch der Bundesverband   deutscher Banken schließt Verwerfungen nicht aus. Die deutschen Institute müssten „endlich wieder profitabler“ werden, um im Fall einer neuen Krise nicht in Finanzierungsschwierigkeiten zu geraten. Generell seien die hiesigen Banken heute „durch höheres Eigenkapital und niedrigere Bilanzrisiken viel besser gegen Krisen geschützt“. Es klingt wie das Pfeifen im dunklen Wald, wenn der Bankenverband behauptet: „Falls trotzdem eine Bank irgendwo auf der Welt fällt, dürfte das deutlich weniger dramatische Auswirkungen haben.“ Alle Marktteilnehmer seien besser auf ein solches Szenario vorbereitet.

EZB-Warnung vor Immobilien-Crash

Der Run auf „Beton-Gold“ hat hierzulande zum rasanten Anstieg der Immobilienpreise geführt. Nicht ohne Grund warnt die Bundesbank schon seit längerem vor Überhitzungen in den Großstädten. Dass sich auch das Vertrauen in Sachwerte als brüchig erweisen könnte, ist für kritische Beobachter nicht ganz neu. Neu ist allerdings, dass selbst die Europäische Zentralbank mittlerweile einen Immobilien-Crash in Europa für möglich hält. Darauf hat kürzlich Daniele Nouy, die französische Chefin der EZB-Bankenaufsicht, hingewiesen. Sicher sei, dass es eine neue Krise geben werde, nicht sicher sei allenfalls deren Entstehungszeitpunkt. Dass es die EZB selbst war, die die Explosion der Preise durch ihre Niedrigzinspolitik verursacht hat, erschien der Dame offenbar nicht erwähnenswert.

Ungeachtet dessen stellen sich Beobachter die Frage, wieso sich höchste EZB-Repräsentanten gerade jetzt öffentlich in  den Krisen-Modus begeben.  Die Antwort gibt Nouy selbst in Gestalt eines  Plädoyers für die Einführung einer europäischen Einlagensicherung. Mit anderen Worten: Die deutschen Sparer, die im Durchschnitt über deutlich weniger Vermögen verfügen als beispielsweise die italienischen Bürger, sollen in naher Zukunft mithaften, falls südländische Banken in Schieflage geraten. Dieser Plan ist nicht neu, sondern steht bekanntlich ganz oben auf der Wunschliste der europäischen Schuldenländer. Macron ist einer der glühendsten Verfechter. Die deutsche Bevölkerung lehnt diese Vergemeinschaftung der Risiken dagegen aus guten Gründen ab, während sich die Bundesregierung hier noch nicht auf eine Linie einigen konnte. Vor allem in der SPD gibt es bekannte Stimmen, die mit dem Konzept einer Haftungs- und Schulden-Union sympathisieren. Vor diesem Hintergrund darf man die Initiative von Madame Nouy wohl auch als (hoffentlich untauglichen) Versuch betrachten, durch den Verweis auf drohende Krisen die Akzeptanz einer europäischen Einlagensicherung zu erhöhen. Übrigens läuft ihre fünfjährige Amtszeit im Dezember aus. Als Nachfolger wird von den interessierten Ländern ein italienischer Ex-Notenbanker gepusht…

Abstieg der deutschen Großbanken

Die ehemals starken deutschen Großbanken sind dabei, international den Anschluss zu verlieren. Das zeigt sich nicht nur an den im Vergleich zu amerikanischen, englischen und französischen Instituten eher schwachen Ergebnissen, sondern auch an der historisch einzigartigen öffentlichen Degradierung: So musste die Commerzbank ihren Platz im Dax zugunsten eines erst 1999 gegründeten Zahlungsabwicklers räumen. Und die Deutsche Bank, die noch vor 20 Jahren zu den wertvollsten Unternehmen in der Euro-Zone gehörte, flog aus dem Börsen-Index Euro Stoxx 50. Allein seit Anfang 2018 ist der Börsenkurs der früheren Flaggschiff-Aktie um rund 40 Prozent abgestürzt.

Geschürt wird die greifbare Unsicherheit durch immer neue Übernahme- und Fusionsgerüchte. Eine eigenständig erfolgreiche Zukunft scheint der Markt den beiden national immer noch größten Geldhäusern nicht mehr zuzutrauen. Kritiker beanstanden, die beiden Banken würden den Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft nicht gerecht. Die von den beiden Großbanken in den letzten Jahren für Rechtsverstöße und Kundenbenachteiligungen gezahlten Strafgelder und Schadensersatzleistungen sind ebenso immens wie skandalös. Gewachsen zu sein scheint der Verkaufsdruck auf die Bankmitarbeiter zur weiteren Steigerung von Provisions- und Gebühreneinnahmen. Mehr denn je wird offenbar nach Bankinternen Vorgaben verkauft, die sich nicht unbedingt an den realen Wünschen und Bedürfnissen der Anleger orientieren. Das trägt bei informierten Kunden nicht gerade zur Bindung oder – neudeutsch – Loyalität bei. Die Gefahr nimmt zu, immer mehr Klientel an beweglichere Konkurrenten und Fintechs zu verlieren.

Die deutsche Wirtschaft ist grundsätzlich hochgradig daran interessiert, auch zukünftig ihre internationalen Geschäfte mit einer (deutschen) Bank „an ihrer Seite“  zu betreiben. Die ungezählten Restrukturierungkonzepte der Großbanken scheinen jedoch mehr oder weniger verpufft zu sein. Dabei sind die Institute gerade in diesen bewegten Zeiten auf immanente Stärke, effektive Strukturen, internationale Wettbewerbsfähigkeit und – last but not least – ebenso kompetente wie hochmotivierte Mitarbeiter angewiesen. Die eigentliche Restart-Chance dürfte darin bestehen, die neuen technologischen Möglichkeiten wie die Digitalisierung und die  künstliche Intelligenz strategisch zu nutzen, abnorme Risiken wie das ausgeuferte Investment-Banking dauerhaft zu limitieren und sich auf den früher selbstverständlichen Leitsatz zu besinnen, dass die Kundeninteressen stets Vorrang vor den Bankinteressen haben sollten.  Nur durch Customer Centricity lässt sich das in den letzten Jahren stark ramponierte Vertrauen der Kunden zurückgewinnen.

Über den Autor

Dietrich W. Thielenhaus

Der Unternehmer Dietrich W. Thielenhaus, der vor seinem Studium Bankerfahrung gesammelt hat, kommentiert aktuelle Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Geldanlage.

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