Das „Digitale Ich“

Die nächste Phase der digitalen Ökonomie?

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Bei ausgebauten digitalen Identitäten geht es um weit mehr als Registrierungsformulare. Eine Million Jobinterviews bis zum Mittag? Wenn Sie ihre persönlichen Daten selbst sammeln und analysieren würden, könnte das völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Eine Welt voller digitaler Modelle, welche Ihre Interessen vertreten und die Umwelt für Sie filtern.

Auf der Suche nach der digitalen Identität

Auf der Suche nach der digitalen Identität
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Partner des Bank Blogs

Berg Lund & Company ist Partner des Bank Blogs

Jeder Ihrer Klicks im Internet wird von einem halben Dutzend Trackingfirmen festgehalten. Irgendwo, auf irgendwelchen Serverfarmen befinden sich Informationen über Ihre täglichen Bewegungen, über Ihr soziales Netzwerk, Ihr Kaufverhalten, Ihre politische Einstellung, welche Grußformel Sie am Ende von E-Mails verwenden oder mit welcher Geschwindigkeit Sie Kapitel 3 Ihres letzten E-Books gelesen haben.

Die natürliche erste Reaktion darauf ist der Versuch, seine digitalen Spuren zu minimieren. Doch eine digitale Nichtexistenz aufrechtzuerhalten wird immer komplizierter und kostspieliger. Der globale Datenberg wächst exponentiell. Alleine in den letzten beiden Jahren wurden mehr Daten produziert, als in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor. Selbst, falls Sie irgendwie ohne ein Smartphone auskommen würden, sind digitale Kameras zunehmend allgegenwärtig Kombiniert mit der Verbreitung von Gesichts- und Emotionserkennungsalgorithmen wird dies die Anonymität im öffentlichen Raum weiter einschränken. Es gibt kein Zurück mehr in eine analoge Welt. Die entscheidende Frage ist längerfristig nicht, ob digitale Informationen über Sie existieren werden, sondern wo, wie und unter wessen Kontrolle.

Persönliche Daten als notwendiger Filter

Das Internet ermöglicht uns Zugriff auf beinahe unlimitierte Mengen an Information, doch niemand hat die Zeit, durch zehntausende von Nachrichtenportalen oder Kleiderläden zu scrollen. Selbst wenn Produzenten und Konsumenten auf einer Plattform zusammenkommen, ist das schiere Angebot viel zu groß, um die relevanten Dinge darin manuell herauszusuchen. Dementsprechend braucht es einen Gatekeeper, welcher den Newsfeed, Suchresultate, Produkte oder Werbeanzeigen anhand Ihrer persönlichen Daten nach deren Relevanz ordnet.

Problematisch ist nur, dass die Anreize für Firmen, welche Ihre Daten horten, nur selten perfekt mit Ihren eigenen Interessen übereinstimmen. Anstatt die Produkte nur nach erwarteter Relevanz für den Kunden zu ordnen, sind Plattformen dazu verleitet, jene Produkte und Services zu bevorzugen, welche eine hohe Profitabilität aufweisen. Und das ist noch ein relativ harmloses Szenario. Wissen ist Macht. Je mehr eine Firma über Sie weiß, desto einfacher wird es, Sie zu manipulieren. Die Algorithmen, welche Firmen verwenden, sind für den Verbraucher eine Black Box. Sie geben einen Input und erhalten einen Output. Ob eine Suchmaschine dabei aktiv versucht, eigene Dienste zu fördern oder Ihre politischen oder anderweitigen Einstellungen zu ändern, lässt sich bei 2 Milliarden Linien Code nur sehr schwer überprüfen. Zwischen jenen, welche Ihre Welt mittels gesammelter Daten ordnen und Ihnen herrscht eine klare Macht- und Informationsasymmetrie. Ist es nicht absurd, wenn ein Supermarkt früher als die Eltern weiß, dass deren Tochter schwanger ist?

Vertrauen ist gut, Kontrolle über die eigenen Daten ist besser

Doch egal wie groß der Datenhunger von Firmen sein mag, keine Institution hat ein komplettes Bild von Ihnen. Ihr „Digitales Ich” ist immer noch sehr unvollständig und in kleineren und größeren Stücken über das gesamte Internet verteilt. Was wäre, wenn Sie sich nun entscheiden würden, die Tech-Giganten in Ihrem eigenen Spiel zu schlagen? Sie könnten einer Applikation erlauben, alle Daten, welche nach außen gesendet werden, in einem Behälter unter eigener Kontrolle zu sammeln, zu normalisieren und zu analysieren. Das Resultat, wäre ein holistisches digitales Modell von Ihnen aus all ihren digitalen Fußabdrücken, welches durch direkten Input ergänzt werden könnte. Ein solches Modell könnte nicht nur zu einem besseren Verständnis Ihrer Selbst, Ihrer Gesundheit und Ihrer Beziehungen helfen, es könnte auch Informationen nach persönlicher Relevanz sortieren.

Manche Firmen müssten in einem solchen Modell nur Schnittstellen bereitstellen, so dass der Kunde seine Präferenzen kommunizieren, respektive die Informationen ordnen kann. Grundsätzlich sollte es sogar möglich sein, mit Hilfe von Webcrawlern gleich einen „Metashop” zu kreieren. Dieser könnte Angebote aus dem gesamten Internet zusammentragen, normalisieren und kategorisieren, so dass der Kunde, bewaffnet mit seinen persönlichen Daten, jederzeit (fast) alle Produkte dieser Welt nach persönlicher Relevanz ordnen könnte. Damit sowohl die Vorteile von Big Data als auch die Vorteile von persönlichen Daten (das Applizieren dieser Einsichten) zum Zuge kommen, braucht es allerdings gleichzeitig auch ein benutzerfreundliches System zum Teilen, Verleihen und Verkaufen von Datenpaketen.

Das bestmögliche Leben leben

Beim „Digitalen Ich“ geht es aber um mehr, als nur um die Möglichkeit, alle Lederschuhe der Welt mit einem Klick anhand einer persönlichen Nutzenfunktion zu ordnen. Belebt man Ihre persönlichen Daten mittels künstlicher Intelligenz, könnte das „Digitale Ich“ aktiv und passiv Ihre Interessen vertreten. Es wäre eine Erweiterung Ihrer selbst, Ihr ständiger Begleiter, Ihr Tor zur Welt und das Tor der Welt zu Ihnen. Ultimativ eine Lösung um die engen zeitlichen und geografischen Grenzen, welche einem die Biologie setzt, zumindest teilweise, zu überwinden. Das „Digitale Ich“ muss nicht essen, nicht schlafen, nicht sterben und es kann an hundert Orten gleichzeitig sein. So hat ein Präsidentschaftskandidat oder ein CEO in Zukunft beispielsweise die Möglichkeit über sein „Digitales Ich“ mit jedem einzelnen Bürger oder Angestellten interaktiv zu kommunizieren.

Anstatt persönlich nach passenden Jobs zu suchen, kann das „Digitale Ich“ eine Plattform oder das ganze Internet durchforsten und Millionen wenn nicht Milliarden von Jobs nach Relevanz ordnen. Bei jenen davon mit grober Erfolgsaussicht, könnte es in Zukunft aber auch gleich ein Job-Interview mit einer künstlichen Intelligenz des Arbeitgebers simulieren, in welchem beide Seiten Nachfragen stellen können. Nur bei den vielversprechendsten Simulationen wird darauf auch ein physischer Termin vereinbart. Aus Sicht des Arbeitssuchenden reicht ein Klick und ein halbes Dutzend sehr vielversprechende Job-Interviews sind organisiert. Ähnliches gilt für die Partnerwahl. Ihr „Digitales Ich“ könnte Millionen von Dates mit anderen digitalen Repräsentationen simulieren, so dass sich das physische Selbst seine Zeit nur auf wirklich erfolgversprechenden Dates verbringt. Der Autor und Professor für Computerwissenschaft Dr. Pedro Domingos beschreibt diesen Cyberspace der Zukunft als „eine gigantische Parallelwelt, aus welcher nur die vielversprechendsten Dinge ausgewählt werden, um in der realen Welt ausprobiert zu werden”.

Vom Gejagten zum Jäger?

Banken sind in einer guten Ausgangslage, um eine zentrale Rolle beim Aufbau eines solchen anwenderzentrischen Internets zu spielen. Bei Themen wie der digitalen Identität sind sie vorne mit dabei (siehe UBS Whitepaper zur Digitalen Identität) und das Geschäftsmodell finanzielle Daten zu schützen, für den Kunden zu analysieren und ihn zu beraten, ließe sich grundsätzlich auch auf andere Typen von Daten applizieren (siehe auch Vertrauensvorsprung bei Datensicherheit). Wer hingegen sehr viel zu verlieren hat, sind jene Firmen, deren Geschäftsmodell auf dem Verkauf von persönlichen Daten beruht. Welch unerwartete Wendung dies doch wäre, wenn es am Ende plötzlich die Banken wären, welche für Disruption bei den Tech-Giganten sorgen.

So wie wir uns heute fragen mögen, wie sich die Leute in der analogen Welt vor dem Internet bloß zurechtfinden konnten. Oder wie aufwändig es wohl sein musste, das Internet vor Plattformen und Suchmaschinen zu navigieren. So werden sich zukünftige Generationen rückblickend wohl einmal wundern, wie man bloß irgendetwas finden sollte, damals im Wilden Westen, als die Dinge noch nicht durch unser „Digitales Ich“ vorselektiert wurden.


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UBS Y, ist ein 2014 von der UBS gegründeter Think Tank

UBS Y, ist ein 2014 von der UBS gegründeter Think Tank, welcher Szenarien und Visionen für die Zukunft entwirft: Wie kann unsere Welt in 30 Jahren aussehen? Wie werden wir arbeiten? Was bedeuten Geld und Reichtum, Identität und Kultur? Was wäre, wenn Fachwissen nicht mehr in Experten, sondern in Informationssystemen mit kognitiven Fähigkeiten oder Robotern stecken würde und diese unsere Arbeit erledigen würden? Was bedeutet dies für die Banken?

UBS Y fokussiert sich nicht auf das Vorhersagen der Zukunft sondern auf das Erarbeiten von Visionen. Am Anfang der Methodologie stehen “Was wäre wenn”-Szenarien in ferner Zukunft, mit deren Hilfe versucht wird sich in der Zeit zurückzuarbeiten, um zu ergründen, ob und wie solche Szenarien erreichbar werden könnten.

Über den Autor

Kevin Kohler

Kevin Kohler hat Internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen (HSG) studiert und ist Societal Researcher beim UBS Y Think Tank mit den Fokusthemen Künstliche Intelligenz und Digitale Identität.

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