Die Dosis macht das Gift

Vom Sinn und Unsinn geldpolitischer Bazooka-Maßnahmen

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Die politischen Maßnahmen, die die Corona-Pandemie eindämmen sollen, haben längst historische Ausmaße angenommen. Das betrifft auch die globalen Notenbanken, die Liquiditätsprogramme noch und nöcher auflegen. Doch was nützt das geldpolitische Bazooka-Sperrfeuer?

Geldpolitik der Notenbanken in Zeiten der Corona-Krise

Geldpolitischer Bazooka-Maßnahmen bieten Chancen, bedeuten aber auch Gefahren.

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Währungshüter mit Kriegsgerät in Verbindung zu bringen, erscheint auf den ersten Blick etwas skurril. Schließlich haben wir es in Frankfurt, London oder Washington D.C. eher mit Nadelstreifen und Notebooks zu tun denn mit Flecktarn und Faustfeuerwaffen. Auf den zweiten Blick bekommt dieses martialische Bild durchaus plausiblen Konturen. Wo Shutdowns und Lockdowns überall auf der Welt geeignet sind, die Wirtschaftsräume in die Knie zu zwingen, eint die Zentralbanken ein gemeinsames Ziel: Die Finanzmarktstabilität muss mit allen Mitteln zu verteidigt werden. Und selten zuvor ist das berühmt-berüchtigte „whatever it takes“ mit mehr Leben gefüllt worden.

Die Coronabedingte Metamorphose der Zentralbanken

Blicken wir konkret auf das derzeitige Agieren der Zentralbanken, können wir eine durchaus qualitative Metamorphose feststellen. Wo in der Pre-Corona-Zeit mal mehr, mal weniger kreativ das klassische Aufgabenportfolio abgearbeitet wurde, kam jüngst eine Geschäftsfelderweiterung hinzu, die ihre Anleihen in der Assekuranz haben. Sprich: Die Zentralbanken mutieren aktuell zu den großen Rückversicherern der Welt. Beispiele gefällig?

  • Die Bank of England ist längst zum direkten Staatsfinanzierer geworden. Sie räumt der Regierung Überziehungskredite ein, deren Gesamtvolumen nicht definiert ist.
  • Die EZB wiederum hat für die Corona-Pandemie ein eigenes neues Anleiheprogramm geschaffen, das parallel zu einem ähnlichen, bereits 2015 geschaffenen und unverändert aktiven Programm läuft. Zudem können Geschäftsbanken seit der Coronakrise von der EZB Kredite in einem noch höheren Ausmaß und zu einem günstigeren Zinssatz als bisher beziehen, wobei die EZB nun auch minderwertige Kapitalanlagen als Sicherheit akzeptiert. Darüber hinaus wird die EZB nicht Müde zu betonen, dass sie gegebenenfalls weitere Maßnahmen ins Auge fassen würde.
  • Ähnlich verhält es sich auch bei der amerikanischen Notenbank. Nachdem die Fed ihre Zinsen auf Null gesetzt hat, kauft sie jetzt wieder verstärkt Anleihen und hat auch ein direktes Kreditprogramm für kleinere und mittlere Unternehmen in Milliarden-Höhe angekündigt. Die Fed dürfte von diesem Kurs, der eher zu einer Förderbank als zu einer Notenbank passt, noch lange nicht abrücken. Erst kürzlich hat US-Notenbankpräsident Jerome Powell klar gemacht, dass er mit einer raschen Erholung der US-Wirtschaft eher nicht rechnet.

Schnelle Gewöhnung an staatliche Unterstützung

In  der Corona-Krise hat ein sich rasanter Gewöhnungsprozess eingestellt – das betrifft nicht nur verschärfte Abstands- und Hygieneregeln. Wie selbstverständlich setzt die Weltgemeinschaft in einem zunehmenden Maß auf die zentrale Geldpolitik, die im Zweifel bereitwillig einspringt, wenn die Weltwirtschaft ins Straucheln gerät.

Was bleibt den Notenbanken letztendlich auch anderes übrig? Kein privates Unternehmen hat eine vergleichbare Finanzkraft, um in dieser Größenordnung operieren zu können – so das denn überhaupt erstrebenswert wäre. Nationale und supranationale Regierungen kämen fiskalpolitisch für diese Aufgaben zwar in Frage. Allerdings regieren sie prozessbedingt oftmals viel zu langsam. So ist es gesamtwirtschaftlich betrachtet begrüßenswert, wenn die Notenbanken agieren – zunächst einmal.

Die sich wandelnde Aufgabenverteilung sorgt für Nebenwirkungen

Aber diese Rolle hat auch gefährliche Nebenwirkungen. Die sich konkret wandelnde Aufgabenverteilung zwischen Regierungen und Notenbanken bedroht einerseits die Unabhängigkeit der Notenbanken gegenüber den Regierungen. Andererseits gerät auch die Unabhängigkeit der Finanzmärkte zunehmend in Gefahr. Denn je stärker die Notenbanken in die Finanzmärkte eingreifen, desto größer ist die Gefahr, dass sie Preise und Finanzströme lenken. Das kann zur Folge haben, dass Kapital ineffizient eingesetzt wird. Ein geringeres Wirtschaftswachstum, das sich nicht plausibel erklären lässt, ist ein mögliches Ergebnis. Preisblasen, die lange nicht als solche erkannt werden, und die zu einer Bedrohung des gesamten Finanzsystems heranwachsen können, ein anderes.

Das alles kann dann dazu führen, dass die Notenbanken ihren originären Aufgaben nicht mehr nachkommen können. So können sich Inflationserwartungen aufbauen, wenn eine Zentralbank mit Rücksicht auf die hohe Staatsverschuldung die Zinsen nicht erhöhen kann. Schon 1923 hat John Maynard Keynes in seinem Werk „A Tract on Monetary Reform“ darauf hingewiesen, dass ein Preisdruck dann entsteht, wenn durch das Ausüben politischer Macht Schuldner über die Inflation ihre Schulden entwerten wollen. Beispielhaft seien hier die Anleihekäufe der EZB erwähnt, die die Diskussion über eine Umschuldung der italienischen Staatsschulden verhindert. Die Notenbanken können aber auch in eine große Abhängigkeit der Finanzmärkte geraten. So ist es theoretisch denkbar, dass eine Notenbank auf Zinsschritte verzichten muss, weil sie andernfalls große Verwerfungen an den Finanzmärkten fürchten muss.

Missverhältnis von Wirtschaftsleistung und Verschuldung lässt sich nicht ewig stabilisieren

Sowohl Notenbanken als auch Regierungen stehen vor demselben Dilemma: Sie sind beide kaum in der Lage, den richtigen Zeitpunkt zu finden, ihre Therapie zu beenden. So wie es Regierungen schwer fällt, Staatsschulden abzubauen, so haben Notenbanken Probleme damit, die in Krisenzeiten durch Wertpapierkäufe und Kreditprogramme stark angestiegenen Notenbankbilanzen in Zeiten der konjunkturellen Entspannung wieder zügig zurückzuführen. Die bittere Quintessenz ist, dass das Heilmittel, wenn es zu lange angewandt wird, toxisch wirken kann. Möglicherweise kommt das Urteil des deutschen Verfassungsgerichtes deshalb gut getimt. Sein Urteilsspruch und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von milliardenschweren Anleihekäufen fällt in eine Zeit, in der die Notenbanken so aktiv geworden sind wie noch nie.

Zweifelsohne, wir werden die Corona-Krise überwinden. Sie wird aber genauso zweifelsfrei über einen noch nicht definierbar langen Zeitraum die Weltwirtschaft schwächen – erfahrungsgemäß lässt sich sagen, dass solche Phasen in aller Regel eher kürzer als erwartet ausfallen. Zurückbleiben wird dennoch ein riesiger Schuldenberg, im privaten wie öffentlichen Bereich. Dieser kann, das lehrt uns die Vergangenheit, nicht so schnell abgebaut werden. Und genau hier wird es für die Zentralbanken gefährlich. Je größer die Schulden werden, desto fragiler wird das gesamte Wirtschaftsgefüge und umso weniger können die Zentralbanken Druck zum Abbau der Ungleichgewichte ausüben. Sie sind letztendlich gezwungen ein System zu stabilisieren, das sie eigentlich gar nicht wollen – und werden damit Opfer ihrer eigenen Verschuldensstrategie.

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Über den Autor

Dr. Otmar Lang

Dr. Otmar Lang ist Chefvolkswirt und Direktor Research der TARGOBANK. Der promovierte Ökonom arbeitete zunächst als Fondsmanager für institutionelle Kunden in Frankfurt. Von 1996 bis 2007 war er dann für die Deutsche Bank im Bereich Bond-Research zuständig. 2007 wechselte er als Chefvolkswirt zur damaligen Citibank nach Düsseldorf.

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