Einfach. Sicher. Gegen Geldautomatensprengungen.

Digitalisierung ist nichts Neues

Buzzword statt Disruption

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Digitalisierung ist in aller Munde. Kaum eine Geschäftsleitung einer Bank, die sich nicht damit beschäftigt. Und die meisten Banken investieren Unsummen. Aber das, was als Digitalisierung verkauft wird, hat selten etwas damit zu tun. Eigentlich sollte man das Wort zum Unwort des Jahrzehnts küren.

Digitalisierung von Banken und Sparkassen

Digitalisierung ist für Banken und Sparkassen nichts wirklich Neues.

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Digitalisierung ist nichts wirklich Neues. Die eigentliche Digitalisierung startete auch bei den Banken bereits in den 70er-Jahren. Mit dem Aufkommen von bezahlbaren Computersystemen wurde die Datenverarbeitung einfacher, schneller und somit günstiger. Bereits in den 80er-Jahren bot die schweizerische Postbank, Banking über VTX (Bildschirmtext) an.

Seither findet ein kontinuierlicher Wandel von Geschäftsprozessen und -modellen in die digitale Welt statt. Ein plakatives Beispiel dafür ist die Einführung von Bankomaten (Geldautomaten). Der erste Bankomat wurde in der Schweiz 1967 in Betrieb genommen (damals noch mit Lochkarten). Die Verbreitung startete dann richtig ab 1978. Heute ist Bargeld an jeder Ecke, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr verfügbar. Der Durchschnittsmensch geht heute nicht mehr in eine Bankfiliale, um Geld abzuheben.

EDV veränderte Geschäftsmodelle fundamental

Seither wurden durch Einführung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) viele Geschäftsmodelle fundamental verändert. Ganze Geschäftsbereiche wurden auf den Kopf gestellt, Arbeitsstellen wurden überflüssig und wichtige Ertragsquellen der Banken wurden hinfällig. Dieser Wandel war oft disruptiver als alles, was heute als disruptiv bezeichnet wird (und damit habe ich mein zweites Lieblings-Unwort benützt). Ich erinnere an dieser Stelle gerne daran, dass vor nicht allzu langer Zeit Wertpapiere noch von Menschen an der Börse gehandelt wurden.

Alle diese Änderungen haben eines gemeinsam: Sie wurden durch die Einführung digitaler Systeme und Prozesse einfacher, schneller und günstiger. Einfacher, schneller und günstiger im Vergleich zur manuellen Bearbeitung oder der analogen Bearbeitung. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Von Digitalisierung kann man nur sprechen, wenn analoge Prozesse durch digitale abgelöst werden. Die Ablösung eines schlechten digitalen Prozesses durch einen besseren digitalen Prozess hat nichts mit Digitalisierung zu tun, sondern mit Prozessverbesserung.

Neue Kommunikationskanäle

Kann man also von Digitalisierung sprechen, wenn eine Bank neu eine Kundeneröffnung im Internet anbietet? Ja und Nein. Die meisten Banken bieten schon lange die Möglichkeit, Kontoeröffnungsunterlagen im Internet zu bestellen. Und Banken speichern die Kundendaten schon seit Jahrzehnten in Computersystemen. Neu ist aber der komplette Prozess auf digitalen Kanälen möglich. Digitalisiert wird also – bestenfalls – die Kundenschnittstelle, die Kundenbeziehung. Und mit etwas Glück hat die Bank den neuen, digitalen Prozess so gestaltet, dass der Kunde wirklich kein Papier mehr unterzeichnen muss.

Eigentlich werden Kunden aber nur über einen zusätzlichen, neuen Kanal bedient – und dieser Kanal ist eben digital. Was als Digitalisierung verkauft wird, ist also oft lediglich das Einbinden eines neuen Kommunikationskanals. Und das hauptsächlich deshalb, weil die Kunden viel Zeit im Internet verbringen. Oftmals mehr Zeit, als sie durch die Straßen flanieren, wo sie auf eine Bankfiliale treffen könnten. Die Banken passen sich also nur an die veränderte Realität an. Ist das innovativ? Naja, sagen wir mal „begrenzt“. Es geht hier um die Anpassung an eine veränderte Umwelt – man kann also eher von „Überlebensfähig“ als von „Innovation“ sprechen.

Aber klar: Ein solcher neuer Kontaktkanal bedingt immer – teilweise fundamentale – Anpassungen bei den Banken. So beispielsweise in den 80er und 90er Jahren, als Telebanking boomte. Der Kanal „Telefon“ bekam bei den Banken plötzlich einen neuen Stellenwert. Auch das veränderte die Bankenwelt gewaltig: Neuartige Arbeitsstellen entstanden in Call Centern, andere (z.B. in Filialen) wurden weniger wichtig und neugegründete Telefonbanken machten den etablierten Banken das Geschäft streitig. Letztere sahen sich gezwungen, bei der Entwicklung nachzuziehen und ihr Geschäftsmodell anzupassen.

Digitalisierung: Buzzword von Beratungsfirmen

Wenn also Digitalisierung nichts Neues ist, warum wird denn heute so viel davon gesprochen? Warum decken Wirtschaftsführer, Politiker und Wissenschaftler – und ja, auch Blogger – die Welt mit Artikeln, Referaten und Studien zu diesem Thema ein?

Bei nüchterner Betrachtung der latenten Digitalisierung in den letzten Dekaden liegt die Vermutung nahe, dass hier (künstlich) ein Hype generiert wurde. Wenn es aber „nur“ ein Hype ist, warum reiten denn die oben erwähnten – vermeintlich intelligenten und reflektierten Menschen – auf dieser Welle mit? Vielleicht einfach, weil sie damit Geld verdienen. Viel Geld.

Gerade für die Beratungsbranche ist die Digitalisierung so etwas wie damals der Goldrausch in Alaska. Kaum eine der Großen und kleinen Beratungsfirmen die nicht mit diesem Buzzword unterwegs ist. Und wenn man sich dann etwas von der Masse abheben will, spricht man von „Digitaler Transformation“ anstelle von „Digitalisierung“.

Man wird den Verdacht nicht los, dass der Hype um diesen Begriff von den Beratungsfirmen mit viel Tamtam aufrechterhalten wird. Und von Bankenchefs, die noch einen Terminplaner aus Papier benutzen.

Auf der Suche nach einem bessern Begriff

Wenn der Begriff Digitalisierung falsch ist: Was wäre denn der richtige Begriff? Auch Kollege Alain Veuve hat sich dazu Gedanken gemacht und kam auf „Perpetual Disruption“. Das klingt aber auch schon wieder nach einem Begriff, den die Beratungsindustrie gerne aufnehmen wird.

Der korrekte Begriff für die aktuellen Entwicklungen müsste aussagen, dass

  • die Kundenkommunikation über das Internet erfolgt,
  • Menschen aus dem Verarbeitungsprozess entfernt werden,
  • Dienstleistungen rund um die Uhr und unabhängig vom Standort des Kunden verfügbar sind und
  • die Dienstleistungen möglichst personalisiert respektive individualisiert erbracht werden.

Kurz und bündig geht es also um die „Individualisierte Automatisierung von Dienstleistungen im Internet“. Klingt nicht so sexy wie „Digitalisierung“ – ist aber wesentlich treffender.

Über den Autor

Claudio Gisler

Claudio Gisler leitet das Produkt- und Kanalmanagement und ist Mitglied der Direktion der WIR Bank Genossenschaft. In dieser Funktion setzt er sich intensiv mit den Trends in der Finanzindustrie und bei Komplementärwährungen auseinander. Zuvor arbeitete er in verschiedenen Positionen und in verschiedenen Unternehmen in der Telekommunikations- und Finanzindustrie. Er hat einen Master of Advanced Studies in Banking & Finance der Fachhochschule Kalaidos und bloggt zu den Themen "Banking", "Digitalisierung" und "Komplementärwährungen" und kommentiert diese auf Twitter unter @claudiogisler. Alle Beiträge schreibt er in seinem eigenen Namen - sie reflektieren nicht (zwingend) die Meinung seiner Arbeitgeberin.

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