Nach einem anstrengenden 2022 sind für die FinTech-Szene Strategieschwenks, Entlassungswellen, Down-Rounds und Unternehmenszusammenschlüsse angesagt. Das neue Jahr könnte aber auch FinTech-Gewinner hervorbringen.

Ausblick auf die Perspektiven für FinTech im Jahr 2023

FinTech im Jahr 2023.

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2022 kam alles anders als gedacht: Im Februar begann Russland über Nacht einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Unendliches menschliches Leid wurde sehr plötzlich präsent – und ist es bis heute. Und da der Konflikt nicht nur militärisch ausgetragen wird, sondern auch (finanz)wirtschaftlich, sind die Folgen auch für FinTechs ganz konkret spürbar.

Durch Energiekrise und Inflation fehlt den Verbrauchern das Geld zum Sparen, Neo-Broker merken das unmittelbar. Auch die Nachfrage nach Kryptowährungen versiegt. Unternehmen, die auf weiter steigende Kurse wetteten, geraten in Schwierigkeiten. Und mit FTX bekommt die Kryptobranche im Herbst ihr eigenes Wirecard-Skandal-Pendant.

Der höhere Leitzins führt zu einer Zäsur auf dem Immobilienmarkt: Baufinanzierungen fallen im November auf das Niveau von 2011 zurück, berichtet Barkow Consulting. Kein Wunder, dass z.B. der Hypotheken-Vermittler zehn Prozent der Belegschaft entlässt.

VCs investieren auf einmal nicht mehr in neue Startups: Laut Crunchbase geht das globale Funding-Volumen für FinTechs von 25 Milliarden US-Dollar in Q1 auf nur noch 4,6 Milliarden in Q4 zurück. Die Unternehmen reagieren mit Strategieschwenks: weg von der Skalierung um jeden Preis hin zu Profitabilität oder zumindest hin zu mehr Zeit bis zur nächsten Finanzierungsrunde.

Von der einen Krise direkt in die nächste

Die Pandemie mit ihren Herausforderungen ist noch gar nicht richtig vorbei und schon geht es nahtlos in die nächste Krise. Die knapp werdenden Ressourcen werden umdistributiert: von FinTech- und Blockchain-Innovationen hin zu anderen Wirtschaftsbereichen wie Künstliche Intelligenz oder Nachhaltigkeit, in denen das Kapital besser investiert zu sein scheint. FinTech verliert damit seine jahrelange Spitzenposition beim Rennen um Wagniskapital und leidet unter der Katerstimmung nach der jahrelangen Party.

Die Branche muss sich endlich lossagen von der bitter-süßen Droge des Venture Capital. Gerade für Startups in fortgeschrittenen Phasen wird das eine schmerzhafte und möglicherweise unmögliche Umstellung.

Keine Ruhepause für Banken

Für die etablierten Banken bedeutet das aber keineswegs eine Entspannung. Auch wenn der Marktdruck sich etwas abschwächt, geht die Entwicklung weiter: Kunden erwarten zunehmend digitale Finanzprodukte und wollen nicht mehr für Bankfilialen bezahlen.

Ohnehin haben sich in den letzten Jahren FinTechs eher als Verbündete angeboten gegen den gemeinsamen Feind, die Tech-Giganten, deren Marktmacht kontinuierlich weiter wächst. Gerade diese Riesen zeigen sich von der Krise bisher unbeeindruckt.

Immerhin: Durch die Kombination von Zinsgeschäft und trägen Kunden könnten die Erträge von Banken steigen. Vielleicht kommen ja mal ein paar Banken auf die Idee, FinTechs zu übernehmen, um die technologische Lücke zu schließen. Das M&A-Geschäft im FinTech-Sektor könnte anziehen.

Was passiert in 2023?

Nie fiel es mir schwerer, einen Jahresausblick zu wagen. Heute scheint nur festzustehen, dass nichts feststeht. Alles scheint möglich zu sein. Und wo Veränderungen auftreten, tun sich auch immer unternehmerische Chancen auf, so klischeehaft die Formel „Krise als Chance“ auch wirken mag.

Mit dem Ende der Niedrigzins-Ära gelten ganz andere betriebswirtschaftliche Gesetze für Banken und FinTechs: Kundeneinlagen sind wieder etwas wert und können zur Wertschöpfung beitragen. Das ist neu für FinTechs, sind sie doch in einer Marktphase entstanden, in denen es galt, Kundeneinlagen eher zu verhindern als zu fördern. Und auch FinTechs sind – trotz geringer Größe und höherer Agilität im Vergleich zu etablierten Banken – nicht unbedingt schnell genug, sich anzupassen.

N26 beispielsweise hat den Trend des Neo-Trading genauso wenig aufgreifen können wie den NFT-Hype. Ein aktuelles Gegenbeispiel ist der Neo-Broker Trade Republic, der seinen Kunden zwei Prozent Zinsen auf Einlagen verspricht. Wenn das mal nicht der Startschuss für einen Zinswettbewerb in 2023 ist, bei dem sich FinTechs und Banken um zinsaffine und wechselbereite Einlagenkunden streiten.

Ab in die unbesetzten Nischen

Und zu guter Letzt gilt: Wer sich nicht selbst anpasst, der wird angepasst. Die nächste Generation von FinTechs wird gerade gegründet. Schließlich sorgen die Entlassungswellen für jede Menge Talente auf dem Markt. Klar, Gründungskapital aufzutreiben ist viel schwieriger als vor der Krise. Aber die Chancen sind einzigartig. Wer baut denn den digitalen Bausparvertrag? Ein FinTech oder eine Bank? Und die Frage ist nicht, wer den besten Bausparvertrag baut, sondern den ersten? Schließlich waren Bausparverträge eher das Sauerbier der digitalen Finanzprodukte. Das ist jetzt anders. Für Gründer und ihre Investoren geht, wie immer, die Suche nach Nischen weiter.


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