Eine Zwischenbilanz der ESG-Implementierung zeigt: Mangelnde Datenlage und unzureichende Analysefähigkeiten bremsen Finanzinstitute bei der Umsetzung von ESG-Standards aus. Doch die Institute können gegensteuern: Mit Technologie und Kooperation.

Zwischenbilanz der ESG-Implementierung zeigt Datenlücken bei Finanzinstituten

Die Zwischenbilanz der ESG-Implementierung wirft ein Schlaglicht auf Datenlücken.

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Seit 2018 sind weltweit mehr als 170 ESG-Gesetzesinitiativen und Regulierungsmaßnahmen durch nationale und internationale Aufsichtsbehörden und Gesetzgeber angestoßen worden, 65 % davon von europäischen Behörden.

Dennoch befindet sich die Integration von ESG-Kennziffern und -Risiken in Bank- und Aufsichtsprozesse auch 2022 immer noch in den Anfängen. Die EZB attestierte den europäischen Banken zwar erste Fortschritte bei der ESG-(Daten-)integration in ihre Prozesse und Geschäftsmodelle. Zugleich wurden vielfach Mängel, Datenlücken, und Unstimmigkeiten gerügt. Besondere Defizite sind im Bereich Nachhaltigkeit zu verzeichnen: So fiel der jüngste Climate Stress Test der EZB  ernüchternd aus.

Schleppende Implementierung der ESG-Kriterien

Die Integration von ESG-Daten in Kredit-, Risiko-, Investment- und Geschäftsprozesse stellt die Mehrzahl an Banken und Finanzinstitute immer noch vor große Herausforderungen. Erstmals sind Finanzakteure damit konfrontiert, ESG-Daten in ihre Geschäftsprozesse zu integrieren und dabei aus Umwelt-, Sozial- und Governance-Kennziffern Erkenntnisse und Handlungsfelder für ihre Geschäftsmodelle und -portfolios abzuleiten.

Ein wesentliches Ziel ist hierbei, die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu unterstützen. Die Umsetzung der ESG-Transformation verläuft jedoch trotz der vielen auf den Weg gebrachten regulatorischen Anforderungen und Gesetzen immer noch schleppend. Gleichzeitig mahnen Aufsichtsbehörden, dass das Tempo der Umsetzung beschleunigt werden muss, um die gesetzen Klimaziele zu flankieren.

Fehlende Standards und Datenerhebung als größte Hindernisse

Die Gründe für die schwerfällige Transformation können hierbei in drei wesentliche Problemfelder kategorisiert werden:

  • Fehlende (industriespezifische) ESG-Standards und Auslegungshilfen,
  • fehlende Daten und Datenqualität,
  • Herausforderungen bei der Datenextraktion und -integration.

Umfangreicher Rechtsrahmen – aber viele Unternehmen ausgenommen

Obwohl der europäische Gesetzgeber mit der EU-Offenlegungsverpflichtung und der EU-Taxonomie sowie mit der Benchmarkverordnung umfangreiche Richtlinien und Gesetze geschaffen hat, um ESG-Standards voranzutreiben, ist nach heutigem Stand nur ein Bruchteil der Unternehmen tatsächlich verpflichtet, ESG-Reports und Kennziffern zu veröffentlichen.

Folglich sind Unternehmensbewertungen nach ESG-Kriterien für Risiko- und Investmentprozesse von Banken und Assetmanagern nur für einen geringen Anteil ihrer Portfolios und Geschäftsprozesse auf Basis von externen Kundendaten tatsächlich verfügbar und möglich. In Konstellationen, in denen ESG-Daten verfügbar sind, können diese institutsübergreifend kaum verglichen werden, da mit dem Inkrafttreten der europäischen Gesetze und Richtlinien für die Finanzbranche keine Auslegungsstandards oder Leitfäden entwickelt wurden. Institutsspezifische und individuelle Kategorisierungen sowie Überleitungen auf Banksysteme und -prozesse waren und sind weiterhin unabdingbar.

Nachhaltigkeitsbewertungen kaum vergleichbar

Die Vergleichbarkeit und Kategorisierung von „grünen“ oder „nachhaltigen“ Bewertungen ist daher institutsübergreifend fast unmöglich, da gemeinsame Definitionen von ESG-Kennziffern und -Risiken im Finanzsektor derzeit fehlen. Dieses Transparenzproblem nährt „Greenwashing-Diskussionen“, die durch Auslegungshilfen und Leitfäden für die Finanzbranche hätten vermieden werden können.

Das Problem betrifft auch andere Sektoren und stellt KMU, Mittelstand, Konzerne, börsennotierte und nicht-börsennotierte Unternehmen gleichermaßen vor Herausforderungen. In Fällen, wo ESG-Daten nicht auf Kunden-, Asset- oder Transaktionsebene verfügbar sind, greifen Finanzinstitute deshalb vielfach auf Proxy-Daten zurück, die naturgemäß nur unzureichende, unscharfe Datenanlysen und grobe Erkenntnisse ermöglichen.

Chancen der ESG-Transformation überwiegen trotz Anlaufschwierigkeiten

In einer Umfrage des Bankenverbandes gaben 72% der befragten Bankkunden 2021 an, nachhaltige Produkte bei ihren Anlageentscheidungen zu bevorzugen. Die Nachfrage nach nachhaltigen Bank- und Finanzprodukten ist somit nicht nur bei professionellen Anlegern, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der Markt für nachhaltige Investitionen wird allein in Europa bis 2025 auf weit über 12 Billionen EUR geschätzt.

Dieses enorme Investitionsvolumen leitet sich zum einen aus der notwendigen Transformation der Geschäftsmodelle aller Marktakteure, aber auch aus der Transformation einzelner Assets und Assetklassen ab. Aus diesen ergeben sich für Banken und Assetmanager vielfältige Chancen, die ESG-Transformation durch innovative Finanzierungen und Finanzprodukte zu begleiten, mitzugestalten und vor allem zu ermöglichen.

Datenintegration und Analysekompetenz als Katalysator

Es lässt sich festhalten, dass ESG-Daten grundsätzlich verfügbar sind. Sie könnten regelmäßig gemessen, bewertet und in Geschäftsprozesse integriert werden. Jedoch befinden wir uns aktuell noch in einem frühen Stadium der Nachhaltigkeitstransformation, bei der die Ausarbeitung der regulatorischen Basis ebenso wie die Datensammlung, Extraktion und Integration industrieübergreifend erst begonnen hat.

Banken und Finanzinstitute können für ihre ESG-Strategien und Geschäftsprozesse schon heute auf eine Vielzahl an externen ESG-Datenquellen zurückgreifen:

  • Selbstauskünfte ihrer Kunden,
  • Öffentlich verfügbare ESG-Daten in Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten, sozialen Medien und auf Unternehmensseiten,
  • ESG (Benchmark-)-Daten von Drittanbietern,
  • Geo- und Wetterdaten,
  • Kunden(stamm)daten aus historischen und eigenen Kundensystemen (Kreditakten, Transaktionsdaten, Assetdaten, etc.).

Digitale Technologien erschließen ESG-Geschäftspotenzial

Zentrale Herausforderungen neben den bereits erwähnten Problemfeldern sind digitale und technologische Kompetenzen zur Extraktion, Analyse und Integration der Daten. Angesichts des jetzigen Evolutionsstandes des ESG-Datenumfeldes ist es zwingend erforderlich, neuste Technologien zur Datenextraktion mittels künstlicher Intelligenz (KI), maschinellem Lernen (ML) und Natural Language Processing (NLP) zu nutzen. Sie können helfen, die verfügbaren externen und internen ESG-Daten in Bankprozesse und -systeme zu integrieren und daraus Erkenntnisse für die Risiko-, Portfolio-, und Geschäftssteuerung zu erhalten.

Gleichzeitig sind diese Technologien unabdingbar, um Kunden bei der ESG-Transformation und bei Analageentscheidungen im sich stetig wandelnden ESG-Umfeld beraten zu können. Die technologische Kompetenz der Finanzinstitute wird zwangsläufig die Qualität der Datenerhebung, Integration und Analyse beeinflussen und folglich auch die Wettbewerbsfähigkeit in einem wachsenden ESG-Markt prägen.

Fazit: Erfolgsfaktor„Twin Transformation“

Die erfolgreiche Umsetzung der „Twin Transformation“, bestehend aus Digital- und ESG-Transformation, wird zum Hebel für ESG-Geschäftspotenziale. Ein weiterer Erfolgsfaktor liegt in der regelmäßigen Anpassung der ESG-Strategien und Geschäftsprozesse an aktuelle Evolutionsstände und den Fortschritt des ESG-Datenumfeldes. Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Industriegruppen und Stakeholdern (Finanzmarktakteure, Wirtschaftsprüfer, Regulatoren, etc.) zum notwendigen Katalysator der Transformation. Datengetriebene, innovative ESG-Ökosysteme können dabei Schlüsselfaktoren des Erfolges werden.