Die Target2-Forderungen der Bundesbank werden wohl bald die 1 Billion Euro-Grenze überschreiten. Auch die aktuellen Entwicklungen in Italien und Griechenland tragen nicht gerade zur Stärkung des Vertrauens in die Gemeinschaftswährung bei.  

Geben die Target2-Forderungen der Bundesbank Anlass zur Panik?

Besteht ein Grund zu Panik, wenn die Target2-Forderungen der Bundesbank die 1 Billion Euro-Grenze überschreiten?

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„Deutsche Hysterie“?

Die wachsende Verunsicherung informierter Bevölkerungskreise durch die Target2-Risiken scheint einigen Strippenziehern Sorge zu bereiten. Gegenwärtig läuft eine wohl konzertierte Medien-Kampagne, die darauf abzielt, die realen Gefahren zu relativieren und zu beschönigen. So ruft ein  „Handelsblatt“-Redakteur  am 24. Juli 2018 unter der Überschrift „Keine Panik verbreiten – ein Blick auf die Target2-Fakten hilft“ zur „nüchternen“ Betrachtung auf. Mit erstaunlicher Naivität behauptet der Autor, es gebe „keinen einzigen Hinweis, wem oder was der hohe Target2-Saldo der Bundesbank konkret schadet“, um dann  einschränkend zuzugeben: „Außer für den Fall, dass die Euro-Zone auseinanderfällt. Aber haben wir dann nicht andere Probleme?“ Wenige Tage später wirft sich auch Martin Hellwig in der  FAZ  unter der Headline „Wider die deutsche Target-Hysterie“ in die Bresche gegen „unberechtigte Panik“. Der frühere Direktor des  Max-Plank-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern beantwortet die im Vorspann gestellte rhetorische Frage „Was passiert, wenn Italien aus dem Euro ausscheidet und sich weigert, seine Verbindlichkeiten gegenüber der EZB einzulösen?“ kurz und knackig mit „Gar nichts“. Anschließend attackiert der Autor die Argumentation renommierter Ökonomen wie

Hans-Werner Sinn   und  Thomas Mayer  mit wenig freundlichen Attributen wie „semantisch unsinnig“ oder „absurd“. Letztlich kommt  aber auch Hellwig nicht an der zentralen Erkenntnis vorbei: „Nur eine Zahlungseinstellung des italienischen Staats würde das Eurosystem treffen.“  Der Wirtschaftsjournalist  Malte Fischer kommentiert: „Hellwig blendet in seinem Artikel völlig die monetären und fiskalischen Folgen aus, die ein Italien-Austritt aus der EWU und die in der Folge zu erwartenden Target-Abschreibungen der EZB für die nationalen Notenbanken hätte (Verlustsozialisierung, negatives Eigenkapital, Vertrauenserosion in das Eurosystem, Einnahmeverluste für die Steuerzahler). Mit anderen Worten: Hellwigs heile Welt setzt voraus, dass die EZB nicht abschreibt und damit Verluste faktisch ‛verschweigt‛. Aber wie reagieren dann die Kapitalmärkte?“

Target 2 ist die Weiterentwicklung des Zahlungsverkehrssystems Target und das gemeinsame Echtzeit-Brutto-Clearingsystem des Eurosystems.

Nur wenige Tage später legte Marcel Fratzscher (DIW) im „Handelsblatt“ mit einer höchst eigenwilligen Interpretation nach. Das Target-System sei ein Anker der Stabilität. Es sichere nicht nur deutsche Vermögen im Euro-Raum, sondern helfe auch deutschen Exporteuren. Die an diesem System geübte Kritik sei  unbegründete Panikmache und eine verantwortungslose Kampagne. In dieser offenbar bewusst polemischen „Generalabrechnung“  findet sich eher beiläufig folgender Hinweis: „ Verluste aus den Target-Salden könnten für Deutschland einzig und allein im Falle des Austritts einzelner Länder entstehen.“ Aber auch hier sieht Fratzscher kein wirkliches Problem. Denn  – so der Ökonom weiter: „Die Target-Salden sind im Austrittsfall natürlich zu begleichen.“ Zweifelhaft ist, ob diese unfassbaren Behauptungen nur auf Realitätsverweigerung und politischem Wunschdenken beruhen. Im Ergebnis führt der DIW-Chef allein mit dieser weltfremden These seine gesamte Stellungnahme ad absurdum und bestätigt damit ungewollt die realen Gefahren. Einen zweifelhaften „Erfolg“ können die sich plötzlich artikulierenden Anhänger des Target-Systems allerdings verbuchen. Es ist Ihnen gelungen, mit teilweise abenteuerlicher Dialektik eine Gegenposition im öffentlichen Bewusstsein aufzubauen und so die tatsächliche Risiko-Dimension für die deutschen Bürger und Steuerzahler zu vernebeln.

Italienische Momente

In Italien könnte für die europäische Gemeinschaftswährung schon bald die Stunde der Wahrheit schlagen. Die historisch einzigartige Koalition zwischen der Lega und der 5-Sterne-Bewegung, der mittlerweile 60% der Wählerstimmen zugerechnet werden, scheint die Belastbarkeit der nördlichen Euro-Mitgliedsländer konsequent testen zu wollen. Das bereits mit 2,3 Billionen Euro (133,4 % des BIP) hoch verschuldete Land will offenbar alles tun, nur nicht sparen. Das Füllhorn der Wahlversprechen umfasst die Einführung eines Grundeinkommens und Rentenerhöhungen bei gleichzeitigen Steuersenkungen. All das würde die Neuverschuldung um über 100 Mrd. Euro und das Haushaltsdefizit um mehr als 230 Prozent explodieren lassen. Damit würden die Stabilitätskriterien von Maastricht endgültig zur Makulatur. Dem an sich zu erwartenden Druck der EU-Kommission baut die italienische Regierung schon jetzt vor. Ganz unverhohlen droht man mit einem Austritt aus dem Euro. Das Beispiel Griechenlands hat gezeigt, welches Erpressungspotenzial solche taktischen Sandkastenspiele eröffnen.

Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die populistischen Parteien in Rom von ihrer eigenen Propaganda eingeholt werden und sich der Eigendynamik der Entwicklung beugen müssen.  Beppe Grillo , der Chef der Regierungspartei M5S, hat kürzlich erneut ein Referendum über den Austritt des Landes aus dem Euro sowie – bewusst mehrdeutig – „einen Plan B, was die Währung angeht“ gefordert. Aus heutiger Sicht ist eher anzunehmen, dass sich die euromantischen Entscheider in Brüssel, Berlin und Paris der massiven italienischen Nötigung mit unkalkulierbaren Zugeständnissen beugen werden, um den „Sündenfall“ zu verhindern. Sollte es Grillo dagegen doch ernst meinen mit seinem Referendum, so könnte das von Herrn Hellwig nahezu ausgeschlossene Szenario einer italienischen Staatspleite schnell Realität werden. Europapolitisch präsentiert sich diese Alternative als Wahl zwischen Pest und Cholera. Nur am Rande: Italiens Target-Schulden lagen Mitte 2018 bei 481 Mrd. Euro.

„Konkursverschleppung“

Griechenland soll laut EU nach Abschluss des dritten Hilfsprogramms finanziell „auf eigenen Beinen stehen.“ Ende Juni hatten die Geberländer erhebliche Schuldenerleichterungen gewährt. So wurden die Laufzeiten der Kredite bis maximal 2056 verlängert sowie Zinsen und Tilgungsraten bis 2032 gestundet. Insgesamt hat Hellas 274 Mrd. Euro an vergünstigten Krediten erhalten. Ein CDU- Abgeordneter  hat im Bundestag mannhaft erklärt: „Einen Schuldenerlass oder Schuldenschnitt wird es für Griechenland nicht geben.“ Dem hat die FDP-Opposition – ebenso wie das Kieler Institut für Wirtschaft – entgegengehalten, tatsächlich handele es sich hier um einen versteckten Schuldenschnitt und um ein viertes Hilfspaket. Ökonomen beziffern den Wert auf 47 Mrd. Euro, von dem Deutschland etwa ein Viertel zu tragen habe. Gleichwohl hat der Haushaltsausschuss des Bundestags die verdeckten Zinsgeschenke für Griechenland am 1. August 2018 mit der Mehrheit von GroKo und Grünen abgenickt.

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) spricht in dem Zusammenhang von „Konkursverschleppung“: Die Kredite müssten eigentlich größtenteils abgeschrieben werden. Weiter heißt es: „Die Sicht, dass die Griechenlandrettung Deutschland und die anderen Kredit- und Garantiegeber kein Geld kosten würde, ist ökonomisch unsinnig. Die Forderungen gegen Griechenland bestehen in ihrem Nominalwert nur noch auf dem Papier, sie sind in keiner Weise mehr werthaltig“. Aber eigentlich besteht natürlich kein Grund zur Aufregung, weil ja schon mehrere griechische Ministerpräsidenten versprochen haben, dass Hellas jeden Cent zurückzahlen werde.