Der barrierefreie Zugang zu digitalen Dienstleistungen ist ab Juni 2025 verpflichtend. Somit stehen Finanzdienstleister vor umfassenden Herausforderungen: Wie schaffen Finanzdienstleister die erfolgreiche Umsetzung und Verankerung in ihrem Geschäftsmodell?

Herausforderungen und Chancen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes für die Finanzbranche.
Die digitale Transformation hat die Finanzbranche in den letzten Jahren bereits tiefgreifend verändert und vor Herausforderungen gestellt. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) steht nun eine weitere wegweisende Veränderung bevor, die Banken und Finanzdienstleister betrifft.
Das BFSG zielt darauf ab, die Inklusion aller Menschen zu fördern und stellt klare Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit und Ausgestaltung von Finanzdienstleistungen für Verbraucher. Dabei haben die Anforderungen des BFSG weitreichende Auswirkungen auf bestehende IT-Systeme und Prozesse.
Relevanz der digitalen Barrierefreiheit
Das BFSG ist ein bedeutender Schritt in Richtung digitale Inklusion. In Deutschland leben derzeit etwa 7,9 Millionen Menschen, die mit einer temporären oder dauerhaften Beeinträchtigung leben und auf unterstützende Tools zur Stärkung der Barrierefreiheit angewiesen sind. Solche Tools sind z.B. Screen-Reader oder Accessibility Widgets, die Kontraste, Schriftgrößen oder auch Web-Inhalte so anpassen, dass Nutzer mit entsprechender Einschränkung, diese Inhalte barrierefrei konsumieren können. Damit solche Hilfsmittel effektiv arbeiten, sind einheitliche Standards für ein barrierefreies Internet nötig.
BFSG und digitale Absatzkanäle von Finanzdienstleistern
Auch Banken, Versicherungen und weitere Finanzdienstleister müssen diese Voraussetzungen erfüllen. Fokus liegt dabei vor allem auf den digitalen Vertriebskanälen (gem. Gesetz „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“), aber auch physischen Dienstleistungen wie z.B. die barrierefreie Gestaltung von Geldautomaten, Kontoauszugsdruckern und weiteren Selbstbedienungsterminals.
Im Rahmen der Sicherstellung der digitalen Barrierefreiheit sind alle digitalen Customer Touchpoints zu betrachten. Dies umfasst Websites, Antragsstrecken für den Produktabschluss, Kundenportale sowie Self-Service-Portale oder implementierte Tools bei Drittanbietern. Neben den digitalen Customer Touchpoints müssen auch die dem Kunden in digitaler Form bereitgestellten Dokumente barrierefrei gestaltet sein, beispielsweise durch die Einhaltung des PDF/A-Formats. Eine weitere Anforderung betrifft die Legitimation und Authentifizierung von Kunden im Rahmen von u.a. Neukunden-Onboardings oder im klassischen Online-Banking Login. Legitimationsmethoden müssen Optionen für seh- oder gehöreingeschränkte Personen bieten; zusätzlich sind Authentifizierungsmethoden im Hinblick auf ihre barrierefreie Nutzung zu überprüfen.
Realisierung der Barrierefreiheit
Die Anforderungen zur Sicherstellung der Barrierefreiheit haben weitreichende Auswirkungen auf die prozessuale und technische Gestaltung der digitalen Vertriebskanäle von Finanzdienstleistern. Kontrastanpassungen, Wording-Änderungen aber auch Layout-Anpassungen erfordern sowohl eine enge Abstimmung mit Marketing- und Produktteams als unter Umständen auch eine grundsätzliche Anpassung des Corporate Designs (Bspw. hat der FC Bayern München zur Sicherstellung der Barrierefreiheit erst kürzlich den Look & Feel seines Vereinslogos geändert).
Auch auf der technischen Seite ergeben sich eine Vielzahl von Abhängigkeiten, die im Rahmen einer Umsetzung der BFSG-Anforderungen zu berücksichtigen und klar zu planen sind. Hierbei anzuführen sind u.a. technische Limitationen in Bestandssystemen z.B. zur Dokumentengenerierung oder zum E-Mail-Versand. In komplexen Fällen sind u.U. der Austausch und die Migration von Dokumenten in ein neues ECM-System notwendig.
Umsetzungsstrategie für Finanzdienstleister
Der 28.06.2025 steht im Fokus der Aufmerksamkeit. Bis dahin müssen Unternehmen ihre digitalen Vertriebskanäle barrierefrei gestaltet haben. Für physische Geräte wie Geldautomaten bleibt noch etwas mehr Zeit – bis 27.06.2030.
Doch bedeutet die Deadline nun, dass innerhalb der nächsten 8 Monate alle Themen vollumfänglich und in ihrem Zielzustand umgesetzt werden müssen? Nein – nicht unbedingt. Finanzdienstleister müssen eine saubere Analyse der Betroffenheit im Kontext des BFSG vornehmen und ihren Handlungsbedarf so schnell wie möglich eruieren. Basierend darauf bedarf es einer klar strukturierten Bewertung, welche Aspekte bis Juni 2025 mit realisierbarem Aufwand umgesetzt werden können und wie mittelfristig weitere Barrieren im Einklang mit Unternehmenszielen und dem entsprechenden Umsetzungsaufwand umgesetzt werden können.
Hierzu ermöglicht das Gesetz durch die Durchführung von Unverhältnismäßigkeitsbewertungen und Übergangsfristen eine Einordnung der Erfüllung der BFSG-Anforderungen mit der Realisierbarkeit bei Unternehmen. Dabei gilt es auch die BFSG-Anforderungen strategisch & langfristig zu bewerten, wie u.a. auch die generelle Customer Experience und technologische Abbildung der Prozesse optimiert werden kann.
Betroffenheitsanalyse und Umsetzungsplan
Die Betroffenheitsanalyse und Ableitung eines klaren Umsetzungsplans stellt einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar – auch im Hinblick auf die erforderlichen Dokumentationspflichten.
Zudem wird die digitale Barrierefreiheit kein Einmalaufwand für Finanzdienstleister sein. Zur nachhaltigen Sicherstellung der Barrierefreiheit ist es wichtig zu verstehen, dass die Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen keine Momentaufnahme ist, sondern kontinuierlicher Überprüfungen und Anpassungen bedarf. Um das erfolgreich zu gestalten ist es wichtig, dass eine umfassende Governance etabliert wird. So ist es wichtig, dass zum Beispiel ein NPA-Prozess (New Product Approval Prozess) integriert wird, um bei Produktneuaufsatz sicherzustellen, dass die Anforderungen des BFSG eingehalten werden. Darüber hinaus sollte ein internes Audit- und Assessmentsystem, einheitliche Standards und klare Verantwortlichkeiten integriert werden.
Folgen der Nicht-Einhaltung für Banken und Finanzdienstleister
Der Gesetzgeber hat zwei entscheidende Fristen gesetzt – den 28. Juni 2025 und 27 Juni 2030. Die Frist bis Juni 2030 stellt eine Übergangsfrist für Bestandsverträge und SB-Terminals dar während bis zum 28. Juni 2025 sämtliche Websites, Online-Banking und Kundenportale, Mobilanwendungen und digital bereitgestellten Informationen und Services barrierefrei gestaltet sein müssen.
Die Nichteinhaltung der Anforderungen des BFSG kann für Banken und Finanzdienstleister schwerwiegende Folgen haben. Der Gesetzgeber sieht vor, dass Marktüberwachungsbehörden stichprobenartige Tests und Audits durchführen, um die Barrierefreiheit zu überprüfen. Bei Verstößen können verschiedene Strafen verhängt werden, die von leichten Verwarnungen bis hin zu Geldstrafen von bis zu 100.000 Euro reichen. In besonders schweren Fällen können betroffene Websites, Onlineservices oder Produkte bis zur Behebung der Mängel verboten werden. Neben den finanziellen Strafen sollten auch Image- und Reputationsschäden berücksichtigt werden.
Digitalen Barrierefreiheit und Customer Experience
Das BFSG bietet eine einmalige Gelegenheit zur grundsätzlichen Überprüfung Ihrer digitalen Vertriebskanäle im Hinblick auf mögliche Optimierungen des Nutzererlebnisses. Die Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit bietet Finanzinstituten zudem die Chance, bestehende digitale Kanäle in der Customer Experience zu optimieren.
Grundsätzlich sind für eine barrierefreie Transformation drei fundamentale Erfolgsfaktoren zu betrachten:
- Zum einen muss für die Umsetzung der Anforderungen eine übergreifende Projektkoordination sichergestellt werden.
- Zum anderen müssen die betroffenen Customer Touchpoints identifiziert werden.
- Für eine nachhaltige Barrierefreiheit muss eine einheitliche Governance sichergestellt werden.
Die Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes bis zum 28. Juni 2025 stellt Banken und Finanzdienstleister vor Herausforderungen, bietet jedoch große Chancen. Das Gesetz fördert die digitale Barrierefreiheit und kann dabei die allgemeine Kundenzufriedenheit verbessern sowie das Image der Unternehmen stärken.