Sollte nicht jede Bank ein bisschen Vertical Bank sein?

Was sich etablierte Häuser von Verticals abschauen können

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Vertical Banks galten lange als Herausforderer etablierter Banken. Mit ihrem Fokus auf spezifische Zielgruppen, starker Außenwirkung und schnellem Wachstum schienen sie den klassischen Universalbanken den Rang abzulaufen. Für genau die ergeben sich nun neue Chancen.

Etablierte Banken können Kundenorientierung von Verticals lernen

Verticals – spezialisierte Nischenbanken – bieten vielfältige Chancen für klassische Banken.

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Von Ruuky für die GenZ bis Kontist für Selbstständige – die Bandbreite der vertikalen Spezialangebote war beeindruckend. Tomorrow startete für nachhaltigkeitsbewusste Kunden, während Nuri sich auf Krypto-Enthusiasten konzentrierte und Getinsha muslimische Bankkunden ansprach, um nur wenige Beispiele zu nennen. Heute, einige Jahre später, scheint es ruhiger um Verticals geworden zu sein, und die klassischen Retail-Banken könnten als Sieger dieses vermeintlichen Wettbewerbs hervorgehen.

Doch stimmt dieser Eindruck? Zunächst einmal hat die abnehmende Präsenz der Verticals vielfältige Gründe. Denn es ist grundsätzlich ruhiger um endkundenorientierte Unternehmen der FinTech-Branche geworden. Vorbei sind die Zeiten, in denen große Finanzierungsrunden von Jungunternehmen regelmäßig die Schlagzeilen prägen. Von den Verticals haben sich einige Player zu etablierten Unternehmen entwickelt. Tomorrow arbeitet nach eigener Aussage seit Mitte des Jahres profitabel. Andere Verticals wie die apoBank sind seit langer Zeit erfolgreich, ohne im Rampenlicht zu stehen. Einige wiederum mussten den Markt verlassen.

Verticals – Pioniere der konsequenten Kundenorientierung

Unstrittig ist, dass Verticals Meister der Kundenzentriertheit sind. Die Produktentwicklung findet grundsätzlich vom Kunden aus statt – nicht vom Produkt selbst. Sie definieren klar abgrenzbare Kundensegmente und streben danach, den Nutzen für diese Segmente zu maximieren. Dabei erarbeiten sie die spezifischen Anforderungen, Fragestellungen und Wünsche ihrer Zielgruppe und entwickeln darauf aufbauend Produkte und Kundenerlebnisse, die optimal darauf abgestimmt sind. Das Resultat: Das angesprochene Kundensegment fühlt sich bei seiner Vertical Bank bestens aufgehoben. Dies zeigt sich beispielsweise bei Freelancern, die in der schnellen Kontoeröffnung und digitalen Buchhaltungsunterstützung von Holvi die besten Voraussetzungen für einen schnellen Start sehen, oder bei nachhaltigkeitsbewussten Kunden, die bei GLS und Tomorrow sicher sein können, dass ihre Einlagen nur im Einklang mit ihrem Wertekompass verwendet werden.

Wirtschaftliche Herausforderungen der Verticals

Wenn Verticals die vermeintlich beste Lösung für ihr spezifisches Marktsegment sind, warum gibt es heute weniger davon als noch vor einigen Jahren? Die Hauptherausforderung liegt in der langfristigen Wirtschaftlichkeit. Die Kehrseite der spezialisierten Ausrichtung zeigt sich deutlich: Die Beschränkung auf ein bestimmtes Kundensegment bedeutet zwangsläufig den Verzicht auf Erträge aus anderen Bereichen. Im klassischen Bankgeschäft bleibt ein Kunde idealerweise jahrzehntelang und erwirtschaftet durch Kontoführungsgebühren, Zinsen und weitere Leistungen kontinuierlich Erträge. Bei Vertical Banks hingegen verkürzt sich die Kundenbeziehung oft deutlich, wenn Kunden aus dem Zielsegment „herauswachsen” oder sich ihre Lebensumstände ändern. Dies reduziert automatisch den maximalen Wertbeitrag pro Kunde. Bankdienstleistungen sind ein langfristiges Geschäft – ein Modell, das sich mit dieser verkürzten Zeitspanne nur schwer rentabel gestalten lässt.

Stärken nutzen, Schwächen ausgleichen

Banken sind jedoch in der Lage, die aufgezeigten Stärken und Schwächen zu kombinieren und auszugleichen, wodurch sich enorme Potenziale erschließen. In einer Zeit zunehmender Individualisierung erwarten Kunden maßgeschneiderte Serviceangebote. Die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz verstärken diesen Trend noch weiter. Während klassische Bankangebote oft standardisierte „One-size-fits-all”-Lösungen bieten, kann die Übernahme von Denkmustern und Prozessen der Vertical Banks dies im Sinne der Kundschaft ändern. Gleichzeitig können klassische Retail-Banken durch ihre umfassende Infrastruktur für Bankgeschäfte in allen Lebenslagen das Problem der Wirtschaftlichkeit ausgleichen.

Vier Schritte zur kundenorientierten Vertical Bank

Eine Bank, die die Potenziale aus dieser Kombination abschöpfen möchte, versteht sich auf Marktseite als Portfolio verschiedener Verticals.

Daraus ergeben sich zunächst vier konkrete Handlungsempfehlungen für Banken:

  1. Identifizieren Sie klar abgrenzbare Zielgruppen und analysieren Sie deren spezifische Bedürfnisse durch aktives Zuhören. Pflegen Sie regelmäßigen Kontakt zur Zielgruppe ohne Verkaufsabsicht, um ein authentisches Verständnis zu entwickeln.
  2. Entwickeln Sie segmentspezifische Produktwelten und etablieren Sie – zumindest im internen Verständnis – eigenständige Sub-Marken innerhalb Ihrer Hauptmarke. Diese Einheiten sollten darauf ausgerichtet sein, das bestmögliche Kundenerlebnis für ihr jeweiliges Marktsegment zu schaffen.
  3. Analysieren Sie die Grenzen zwischen den Segmenten und gestalten Sie nahtlose Übergänge, ohne die Kontinuität zu gefährden. Skizzieren Sie die Kundenreise durch verschiedene Lebensphasen, definieren Sie klare Übergabepunkte zwischen den Produktwelten und stellen Sie durch Tests sicher, dass diese Wechsel reibungslos funktionieren.
  4. Überprüfen Sie regelmäßig, ob dieser Prozess den Interessen der jeweiligen Segmente optimal dient, und nehmen Sie kontinuierlich Feinjustierungen vor.

Diese Vorgehensweise erfordert von vielen Banken ein grundlegendes Umdenken. Die meisten sind produktfokussierte Organisationen und müssen einen kulturellen Wandel vollziehen, um den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Dieser Transformationsprozess ist zwar herausfordernd, aber für jede Organisation machbar. Unterstützung bietet sich durch Kooperationen mit vertikalen Partnern an – sie ermöglichen es, die Anforderungen einzelner Segmente schnell und effektiv zu bedienen, ohne dabei die Kundenbeziehung aus der Hand zu geben.

Verticals als Chance für klassische Banken

Auch wenn Verticals heute weniger im Rampenlicht stehen: Es wäre falsch anzunehmen, die Retail-Banken hätten diesen vermeintlichen Wettbewerb „gewonnen”. Von einem Gewinn kann erst die Rede sein, wenn die klassischen Häuser den wertvollen Erfahrungsschatz der Verticals für sich nutzen. Diese haben eindrucksvoll bewiesen, dass kompromisslose Kundenzentrierung in homogenen Segmenten zu überdurchschnittlich hohem Kundennutzen führt. Nun liegt es an den Banken, diese Stärke der Kundenzufriedenheit mit ihrer Expertise im wirtschaftlichen Bankgeschäft zu verbinden. Bei dieser Aufgabe müssen sie nicht alleine vorangehen – strategische Kooperationen mit kundenzentrierten Start-ups können als Katalysator dieser Entwicklung dienen.

Über den Autor

Christian Binder

Christian Binder ist Gründer und CEO der Finstep Solutions GmbH, einem Unternehmen, das das Ziel verfolgt, Jugendliche und junge Erwachsene in die Lage zu versetzen, finanziell selbstbestimmt zu handeln.

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Ein Kommentar

  1. Avatar

    Sehr spannende Analyse! Besonders interessant finde ich den Punkt, dass klassische Banken von den Verticals lernen können, um personalisierte Angebote zu schaffen. Es bleibt spannend zu sehen, wie sich der Markt weiterentwickelt!

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