Polarisierung im Marketing: Risiko oder Chance? Während die einen mit provokanten Kampagnen Aufmerksamkeit erregen, ernten die anderen Shitstorms und Boykotte. Wie viel Polarisierung ist klug, und wann schadet sie dem Markenimage?
Eine Idee als polarisierend zu bezeichnen, kann der Todesstoß für das Marketing sein. Unternehmen vermeiden oft Ideen, die polarisieren, seien es neue Produkte, Werbekampagnen oder Werbeaktionen. Mainstream scheint wesentlich einfacher zu funktionieren.
Dabei wird übersehen, dass in der Polarisierung auch Macht liegt. Es allen recht machen zu wollen, führt selten zum Erfolg. In einer Welt der Unübersichtlichkeit ist Gleichgültigkeit der letzte Effekt, den sich eine Marke leisten kann.
Vielfältige Beispiele für Polarisierung im Marketing
Manche erinnern sich vielleicht noch an die Schock-Werbung von Benetton in den 90er Jahren. Die einen fanden sie zynisch und ekelerregend, die anderen provokant und künstlerisch wertvoll. Der italienische Moderiese warb mit Motiven, die blutige Babys, Aidskranke, eine Nonne, die einen Priester küsst, Überschwemmungsopfer, Kondome und vieles mehr zeigten.
Manches würde man heute wohl anders als damals beurteilen. Überhaupt ist Polarisierung eine Frage der Perspektive. Was die einen als polarisierend empfinden, kann für andere normal sein.
Andererseits ist heute vieles polarisierender als in den 90er Jahren. Die Diskussionen um Winnetou, Blackfacing, den Sinn und Unsinn von Gendern sprechen eine deutliche Sprache.
Die Angst vor dem Shitstorm
Heute werden Diskussionen um polarisierende Werbung allerdings weniger vor Gericht, als vielmehr in sozialen Medien geführt. Stichwort: „Shitstorm. Den fuhr H&M mit einer Anzeige ein. Der Modekonzern veröffentlichte ein Bild eines dunkelhäutigen Kindes im Pullover mit der Aufschrift „Coolest Monkey in the Jungle“. Das wurde als rassistisch kritisiert und führte zu massiven Protesten und Boykotten.
Auch das Bild eines kleinen Mädchens mit Sonnenbrille und einer Banane in der Hand vor einer Audi-Kühlerhaube und dem Satz „Lets your heart beat faster – in every aspect“ traf auf wenig Gegenliebe. Viele sahen darin eine unangemessene Bildsprache. Audi musste sich entschuldigen und die Kampagne zurückziehen.
Hingegen wurde eine Kampagne von Nike zum Fall Colin Kaepernick als politisches Statement gegen Rassismus und Polizeigewalt gelobt. Zwar waren viele Kunden empört und starteten Boykotte, Nike verzeichnete jedoch einen Umsatzanstieg und gewann eine loyalere Kernkundschaft.
Die Eismarke Ben & Jerry’s bezieht regelmäßig Stellung zu sozialen und politischen Themen (z. B. Klimawandel, Black Lives Matter oder jüngst Donald Trump). Das polarisiert und regt den Mutterkonzern Unilever auf, stärkt aber die Bindung zu einer engagierten Zielgruppe.
Vorteile der Polarisierung im Marketing
Polarisierung im Marketing hat sowohl Vorteile als auch Nachteile. Zu den Vorteilen zählt, dass polarisierende Inhalte starke Aufmerksamkeit erzeugen und virale Effekte auslösen können. Sie werden häufiger geteilt, was die Reichweite der Marke erheblich steigert. Darüber hinaus stärkt eine klare Positionierung die emotionale Bindung der Zielgruppe an die Marke und fördert die Markenloyalität.
Marken, die polarisiert auftreten, heben sich deutlich von der Konkurrenz ab, wodurch sie generische Marketingbotschaften vermeiden. Außerdem ermöglicht Polarisierung eine klare Ansprache der Zielgruppe, wodurch insbesondere die Kunden erreicht werden, die wirklich zur Marke passen und langfristig treu bleiben.
Nachteile der Polarisierung im Marketing
Auf der anderen Seite gibt es auch einige Nachteile. Polarisierende Kampagnen können potenzielle Kunden abschrecken oder zu negativer Publicity und Shitstorms führen. Es besteht außerdem das Risiko, dass durch eine zu starke Polarisierung eine große Gruppe von potenziellen Kunden ausgeschlossen wird.
Ein weiteres Problem ist das Reputationsrisiko, da ein zu starker oder unpassender polarisierender Ansatz dem Markenimage langfristig schaden kann. Schließlich ist Polarisierung oft stark von aktuellen Trends und dem Zeitgeist abhängig, sodass eine Kampagne, die heute noch erfolgreich ist, morgen möglicherweise als unangebracht gilt.
Banken tun sich schwer mit Zuspitzung
Insbesondere Banken tun sich oft schwer mit der Zuspitzung oder gar Polarisierung im Marketing, weil sie auf breites Vertrauen angewiesen sind. Daher sind auch viele Marketingkampagnen in der Finanzbranche beliebig austauschbar und mit niedrigem Wiedererkennungswert verbunden. Bankmarken selbst tun sich mit einer Positionierung selbst bei eigenen Kunden schwer und sind für die Mehrheit der Kunden austauschbar, wie vor einiger Zeit in zwei exklusiven Umfragen des Bank Blogs ermittelt wurde.
Erfolgreiche Polarisierung funktioniert
Erfolgreiche Polarisierung funktioniert, wenn sie authentisch zur Marke passt und eine klare Botschaft vermittelt. Scheitert sie, kann sie das Markenimage massiv beschädigen und Umsätze gefährden.
Polarisierung kann eine starke Marketingstrategie sein, wenn sie gezielt und authentisch eingesetzt wird. Es braucht jedoch Fingerspitzengefühl, um nicht mehr Schaden als Nutzen zu erzeugen.
Die Marketingikone Guy Kawasaki rät dazu, keine Angst vor einer Polarisierung im Marketing zu haben. Der Versuch, es allen recht zu machen, produziere nur Mittelmäßigkeit. Letztlich gehe es darum, großartige Produkte zu entwickeln, die einen Teil der Menschen sehr glücklich machen. Wenn diese Produkte andere Segmente unglücklich machen, sei dies nicht weiter tragisch. Das Schlimmste, was passieren könne, sei, dass man überhaupt keine leidenschaftlichen Reaktionen hervorruft, und das passiere, wenn Unternehmen versuchen, alle glücklich zu machen.