Die detaillierte Untersuchung der Wertschöpfungskette ist entscheidend, um wesentliche Auswirkungen, Risiken und Chancen zu erfassen und zu steuern. Das Kreditportfolio verdient hierbei besondere Aufmerksamkeit.
Die Wertschöpfungskette spielt eine zentrale Rolle bei der Betrachtung und Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken im Kreditportfolio der Banken.
Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) legen fest, wie Finanzinstitute über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen berichten sollen, einschließlich Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten. Ein wesentlicher Bestandteil ist die Analyse der gesamten Wertschöpfungskette, um Aktivitäten und Prozesse zu verstehen. Zudem müssen Banken die wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen entlang der Wertschöpfungskette identifizieren, bewerten und managen. Insbesondere das Kreditportfolio birgt Herausforderungen.
Bedeutung der der Wertschöpfungskette bei der ESG-Risikoidentifikation
Die Wertschöpfungskette ist zentral für die Identifikation und Bewertung von ESG-Risiken und umfasst alle Aktivitäten, Ressourcen und Beziehungen im Geschäftsmodell einer Bank.
Besonderes Merkmal bei der Betrachtung der Wertschöpfung von Kreditinstituten ist, dass die wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen hier insbesondere durch die Mittelvergabe freigesetzt werden und nicht etwa durch den Rohstoffbezug oder relevante Vorprodukte. Relevante positive oder auch negative Nachhaltigkeitsauswirkungen entstehen im Kontext der Finanzbranche durch diejenigen Aktivitäten, welche Institute durch die Vergabe von Kreditmitteln ermöglicht haben.
ESG-Risiken resultieren insbesondere aus den ESG-Vulnerabilitäten denen Kreditnehmer oder Wertpapierpositionen ausgesetzt sind und zu Portfoliorisiken mit entsprechenden Auswirkungen auf die Risikoexposition des Instituts führen. Die Betrachtungsweise der Wertschöpfungskette von Kreditinstituten und die sich hieraus ergebenden Nachhaltigkeitsauswirkungen, -chancen und -risiken ist somit genau umgekehrt im Vergleich zu realwirtschaftlichen Unternehmen.
Wesentliche Auswirkungen, Risiken und Chancen können auf Basis einer ESG-Risikoinventur identifiziert, bewertet und gemanagt werden. Auf diese Weise können Auswirkungen und Risiken angemessen berücksichtigt und Chancen strategisch genutzt werden.
ESG-Score und Risikobewältigung im Kreditportfolio
Derzeit wird zur Identifikation wesentlicher Auswirkungen, Risiken und Chancen im Zusammenhang mit dem Kreditportfolio oftmals ein ESG-Score im Rahmen einer ESG-Risikoinventur verwendet. Dieser bewertet die Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken eines Unternehmens bspw. auf Basis von Branchendurchschnittswerten auf Branchenebene oder auf Basis von Unwetterstatistiken auf Basis von Geodaten. Der ESG-Score wird somit zur Identifikation, Bewertung und Analyse der entsprechenden Nachhaltigkeitsrisiken herangezogen.
Gleichwohl stellt die Ableitung von Szenarien zur Risikobewältigung und der Perspektivwechsel in den ESRS, wie beispielsweise die Bewertung des Ausfallrisikos aufgrund sozialer Nachhaltigkeitskriterien, eine Herausforderung für die Banken dar. Zudem haben die Anforderungen an die genauere einzelengagementbezogene Betrachtung des Kreditportfolios mit den neuen EBA-Guidelines, die die Anforderungen der CRR III und der CRD VI an das bankaufsichtsrechtliche ESG-Risikomanagement konkretisieren an Bedeutung zugewonnen. Bereits bei diesen Schritten stößt der oft auf Branchendurchschnitten beruhende und somit stark proxybasierende ESG-Score an seine Grenzen.
Notwendigkeit von Szenarioanalysen und Übergangsplänen für CO₂-intensive Kredite
Szenarioanalysen werden nicht nur zum Zweck der Berichterstattung eingeführt. Die EBA-Leitlinien für das Management von ESG-Risiken ebenso wie die Offenlegungsanforderungen des ESRS E1 fordern explizit eine Entwicklung von Szenarien und Übergangspläne bis 2045 bzw. 2050 für Kredite mit hohen Emissionen. Bis zu diesen Zeitpunkten sollen gemäß aktueller Gesetzeslage Treibhausgas-Emissionen in Deutschland gemäß des deutschen Klimagesetzes sowie nach dem europäischen Klimagesetz und dem Pariser Abkommen verboten werden.
Das bedeutet für Banken konkret, dass nun eine Notwendigkeit vorliegt ihre Kreditportfolien in eine CO₂-neutrale Richtung zu steuern. Banken, die ab diesen Zeitpunkt noch CO₂-intensive Unternehmen in ihrem Portfolio haben, laufen Gefahr deutlicher Bonitäts- und Ausfallrisiken. Diese Risiken werden auch als transitorische ESG-Risiken bezeichnet, also Risiken, welche sich aus dem Wandel der Wirtschaft zu einer CO₂-neutralen Wirtschaftsweise in Form von deutlich steigenden CO₂-Preisen oder des schlichten Verbots von CO₂-intensiven Produktionsverfahren für nicht angepassten Unternehmen ergeben. Die entsprechenden dann noch CO₂-emittierenden Positionen werden aus Bankensicht als stranded assets bezeichnet und sind zum Zeitpunkt 2045 bzw. 2050 als weitgehend wertlos anzunehmen.
Eine zentrale Rolle kommt daher der Transitionsplanung der Unternehmen zu, welche die Kreditwürdigkeit des Unternehmens auch unter Berücksichtigung transitorischer ESG-Risiken über das Jahr 2045 bzw. 2050 hinaus sichern. Denn aus Bankenperspektive mindert eine auf plausiblen Plänen beruhende Anpassungsstrategie des Kreditnehmers an die wirtschaftliche Nachhaltigkeitstransition das ESG-Risiko der Risikoposition und die Gefahr, dass der Kredit bzw. das Wertpapierinvestment zu einem stranded asset in der Bankbilanz wird.
Einfluss des Carbon Value at Risk auf Ratings und Kreditsteuerung
Ratingagenturen bewerten Unternehmen und Banken zunehmend unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten unter Berücksichtigung des ‚Carbon Value at Risk‘, wobei der CO₂-Ausstoß und die vom Unternehmen erlassenen Übergangspläne einbezogen werden. Das Ergebnis ist ein angepasstes Rating, das ebendiese Aspekte berücksichtigt. Banken, wie beispielsweise die Deutsche Bank, beginnen bereits, ihre Kredit-Steuerung nach diesen Kriterien auszurichten und haben die entsprechenden Methoden bereits in ihren Prozessen implementiert.
Die Berücksichtigung des CO₂-Ausstoßes und der Übergangspläne in den Ratings haben einen erheblichen Einfluss auf die Risikobewertung hat. Diese angepassten Ratings verlangen von Banken, ihre Portfolios besser zu steuern und nachhaltigkeitsbezogene Risiken effektiver zu managen.
Optimierung der Kreditsteuerung und Risikomanagement durch CO₂-Emissionen
Für Banken ergeben sich daraus wichtige Ableitungen: Sie können ihre Kreditportfolio-Steuerung unter Einbeziehung der CO₂-Emissionen optimieren und relevante Risikomanagement-Themen adressieren, sowie diese transparent in ihrer Nachhaltigkeitserklärung kommunizieren. Wer sich hier entsprechend aufstellen will, für den empfiehlt sich der PCAF-Standard. Das PCAF (Partnership for Carbon Accounting Financials) bietet einen einheitlichen Standard und eine allgemeingültige Methodik zur Messung und Bewertung der finanzierten Treibhausgasemissionen in den Bankportfolien (Wertpapier- und Kreditportfolio) und erlaubt Portfoliostrukturanalysen zur Ermittlung der Kreditnehmer oder Wertpapierpositionen, die den größten CO₂-Ausstoß verursachen und welche Branchen im eigenen Portfolio besonders betroffen sind.
Es gilt, Kreditnehmer mit schlechter Bonität und hohem CO₂-Ausstoß zu identifizieren und diese frühzeitig in ein effektives Management der Nachhaltigkeitsrisiken einzubinden. Zudem lassen sich aus den PCAF-basierten Portfolioanalyse die wesentlichen institutsindividuellen Dekarbonisierungshebel für die Ableitung weiterer strategischer Risikomanagementmaßnahmen und geschäftspolitischer Steuerungsimpulse identifizieren.
Wertschöpfungskette und Kreditportfolio im Fokus der Nachhaltigkeitsstrategie
Die umfassende Analyse der Wertschöpfungskette ist für Banken unerlässlich, nicht nur um den in ihren EBA Guidelines formulierten Anforderungen der europäischen Bankenaufsicht und den ESRS-Vorgaben zur Offenlegung gerecht zu werden, sondern auch um nachhaltigkeitsbezogene Risiken effektiv zu managen. Insbesondere das Kreditportfolio, welches regelmäßig finanzierte Treibhausgasemissionen beinhaltet, erfordert besondere Analyse-Methoden und sorgfältige Planung.
Kreditinstitute sollten noch heute mit der detaillierten Analyse ihrer Wertschöpfungskette und nachhaltigkeitsbezogene Kriterien mit Fokus auf dem Kreditportfolio in ihr Risikomanagement integrieren. Dabei sollten sie methodische Unterstützung wie auf den von den EBA Guidelines und den ESRS explizit geforderten PCAF-Standard beruhende Analyse- und Bewertungsmethoden nutzen, um ihre Nachhaltigkeitsstrategie erfolgreich umzusetzen und Einfluss auf ihr eigenes ESG-Rating zu nehmen.
Anna Schetle
Anna Schetle ist Koautorin des Beitrags. Die Nachhaltigkeitsspezialistin ist Beraterin bei AWADO GmbH WPG StBG mit den Schwerpunkten CSRD, EU-Taxonomie, LkSG und CSDDD.