Die ING Deutschland zählt zu den größten Direktbanken mit einem breiten Produktportfolio. Dies beeinflusst die Kernbankenlandschaft und erfordert Anpassungen, um schneller auf Marktveränderungen zu reagieren und Innovationen gezielt voranzutreiben.

Die ING Deutschland hat ihre Kernbankenlandschaft angepasst, um schneller auf Marktveränderungen reagieren und Innovationen vorantreiben zu können.
Die ING Deutschland hat in den letzten zwei Jahrzehnten ihre Marktposition gestärkt und verzeichnete in dieser Zeit ein deutliches Kundenwachstum: Die Anzahl der Privat-Kunden stieg von fünf Millionen im Jahr 2005 auf über 9 Millionen im Jahr 2023. Die Anzahl der Hausbankkunden, die neben dem Girokonto mit monatlichem Geldeingang mindestens ein weiteres Produkt der Bank nutzen, konnte ebenfalls gesteigert werden. 2009 führte die ING rund 602.000 Girokonten und zum Jahresende 2023 bereits 3,4 Millionen Girokonten.
Früh eine gute Basis geschaffen
Parallel zu der Entwicklung auf der Produktportfolio- und Kundenseite vollzog sich auch auf Seiten der IT eine Weiterentwicklung unserer Kernbankenlandschaft. Das Jahr 1990 stellte für die ING mit der Einführung von Kordoba einen Meilenstein dar. Eingeführt wurde die damals hostbasierte BS2000-Lösung, die als Kernbankensystem genutzt wurde. Zu dieser Zeit war die IT-Landschaft der Bank geprägt von sogenannter batchorientierter Verarbeitung, d.h. es wurden Daten, wie beispielsweise Transaktionen, gesammelt und dann zu bestimmten Tageszeiten die gesamte Verarbeitung mittels des Kernbankensystems durchgeführt. Dafür wurde nur eine begrenzte Anzahl an Schnittstellen für einfache, klar abgegrenzte Funktionen genutzt. IT-Änderungen konnten von einem zentralen IT-Team gemanagt werden, weil das Kernbankensystem der ING vergleichsweise isoliert war.
Um die zunehmende Zahl von eingehenden Kundenaufträgen abzuwickeln, hat die ING in den Nullerjahren die IT auf Java-basierte Applikationen umgestellt. Die Umstellung erfolgte in den Direktbankkanälen sowie im Front- und Back-Office, um die Privatkundenprozesse zu automatisieren. Der Fokus änderte sich damit auf eine echtzeit-zentrierte Verarbeitung von Transaktionen und die Weiterentwicklung z.B. der Kontoeröffnungsprozesse wurde so auf mehrere Teams mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten verteilt.
Die Folge: Der Automatisierungsgrad konnte erhöht werden, führte jedoch zu einem Mehr an Komplexität. Aufgrund dieser Entwicklung konnte das Institut auf der einen Seite den Funktionsumfang für ihre Kunden verbessern. Doch in dieser monolithischen Struktur stiegen auf der anderen Seite die Kosten für die Entwicklung neuer Features.
Die fachliche und technische Weiterentwicklung aus dieser Zeit führte dazu, dass das Kernbankensystem der ING heute auf eine überproportional stark wachsende Menge an Echtzeitzugriffen flexibel reagieren kann.
Gestern schon an Morgen denken
Zu Beginn der Zehnerjahre wurde es immer komplexer, das IT-System zu warten. Auch neue Funktionen konnten nicht mehr schnell bereitgestellt werden. Hinzu kam, dass in einer stark vernetzten Systemlandschaft eine Erweiterung von Zugriffskapazitäten beschränkt war, denn in diesem Setting mussten große Teile des Systems simultan skaliert werden. Damit in dieser komplexen und hochintegrierten Systemlandschaft ein zukunftssicheres Kernbankensystem entstehen konnte, galt es dieser Entwicklung entgegenzusteuern.
Die ING Deutschland setzte in ihrer IT-Strategie deshalb seit Ende der Zehnerjahre auf abgegrenzte IT-Komponenten, die eng mit dem Fachbereich abgestimmt und entwickelt wurden. Die Vorteile lagen dabei klar auf der Hand: Unterschiedliche Anforderungen konnten besser erfüllt werden, wenn maßgeschneiderte Anwendungen mit den passenden Technologien genutzt wurden. Die durch Schnittstellen voneinander abgegrenzten Komponenten werden nach dem Prinzip des „Domain Driven Designs“ strukturiert und haben einen einheitlichen fachlichen Zweck. So kann sichergestellt werden, dass jede Komponente ihre spezifische Aufgabe effizient und unabhängig erfüllt. Hinzu kommt, dass sie so individuell ausgeliefert und getestet werden können.
Prinzipien der „Pace-Layered Application Strategy“
Schon früh wurden die Prinzipien der „Pace-Layered Application Strategy“ von Gartner angewendet, um schneller auf Marktveränderungen reagieren sowie Innovationen vorantreiben zu können. Dazu wurden Applikationen auf verschiedenen Layer mit unterschiedlichen Architektureigenschaften eingeordnet:
Anwendungsarchitektur der ING basierend auf den Prinzipien der „Pace-Layered Application Strategy“ von Gartner.
Schichten der ING-Anwendungsarchitektur
Entscheidend bei der Modernisierung des Kernbankensystems ist außerdem, die fachlichen Anforderungen eindeutig zu beschreiben. Dadurch können die bisher im Kernbankensystem gebündelten Funktionen den entsprechenden Schichten der ING-Anwendungsarchitektur logisch zugeordnet werden. Das Ziel der Modernisierung ist eine Aufteilung des Kernbankensystems in fachlich abgeschlossene Module, um auf die immer spezialisierteren Anforderungen der Kunden zu reagieren.
Zuordnung von Kernbanken-Funktionen zur entsprechenden Architekturschicht
Gewonnene Erkenntnisse
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein inkrementeller Transitionsplan entscheidend für die Weiterentwicklung von Schlüsselkomponenten des Kernbankensystems ist. Das Benennen einer klaren Zielvision und das Festlegen einer konkreten Umsetzungsstrategie ist von zentraler Bedeutung. In der Zielversion des Transitionsvorhabens wurden die zentralen Bausteine definiert, die in der Anwendungslandschaft benötigt werden. Dabei wurden die wesentlichen Unterschiede zur aktuellen IT-Landschaft herausgearbeitet und die einzelnen Transitionsschritte festgelegt, die für die Kunden der ING einen Mehrwert bringen.
Den Fokus auf die Lösung eines überschaubaren, wichtigen Problems zu legen, war ein weiterer Erfolgsfaktor im Transitionsprozess. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Lösungsansätze mit Initiativen aus den Fachbereichen abgestimmt sind, um den spezifischen Herausforderungen effektiv begegnen zu können. Eine Priorisierung der Kernbanken-Funktionen, die von verschiedenen Prozessen benötigt werden, ist dabei erfolgt. Für die erfolgreiche Umsetzung ist die Unterstützung der Geschäftsführung unerlässlich.
Steuerung der Transition
Eine solche Transition sollte zentral gemanagt werden, da ansonsten die Priorität für die Umsetzung der Änderungen nicht gegeben ist. Es empfiehlt sich, crossfunktionale Konzepte zu erarbeiten und technische Ressourcen zentral bereitzustellen. Um die schrittweise Umsetzung zu ermöglichen, ist es wichtig Lösungen zu finden, welche die Koexistenz von neuen und alten Softwarekomponenten übergangsweise ermöglicht. Zur Steuerung der Transition sollten frühzeitig Metriken etabliert, sowie mit allen Beteiligten ein gemeinsames Vorgehen abgestimmt werden.
Im Rahmen der Umsetzung wurde schnell ersichtlich, dass die Bereitstellung eines modernen Integrationslayers zum Kernbankensystem als wahrer Katalysator für Veränderungen wirkt. Die Basiskomponente „Account Engine“ wurde als Kernkomponente zuerst mit neuen Schnittstellen bereitgestellt, wodurch sich bereits eine Vielzahl von Anwendungsfällen der Bank unterstützen lassen. Darüber hinaus wurden zahlreiche weitere fachliche Kontexte identifiziert, die schrittweise aus dem Kernbankensystem herausgelöst werden, um eine bessere Wartbarkeit und einfachere Weiterentwicklung zu erreichen. Dazu zählen der Zahlungsverkehr, Restriktionen, die Entgeltermittlung und die Abrechnung.
Technische Basis
Fundamental für die Arbeiten am Kernbankensystem war, zunächst eine technische Basis bereitzustellen, die als Enabler wirkt, um auf den bestehenden Kernbanken-Paketen unkompliziert APIs zu erstellen. Die Entkopplung der fachlichen Funktionen von den Kernbankenpaketen konnte dadurch wesentlich erleichtert werden. Die Konzepte des „Domain Access Layers“ und der „Data Products“ erlauben die Definition externer Schnittstellen innerhalb eines Fachbereichs zu definieren, wobei die bestehenden fachlichen Verantwortlichkeiten beibehalten werden können.
Bestehende Funktionen und Services der Kernbankenlandschaft, so ein Learning, besitzen einen hohen Stellenwert für die internen Nutzerinnen und Nutzer. Wenn Teile davon abgelöst werden sollen, müssen die Betroffenen aktiv und kontinuierlich begleitet werden. Die wichtigste Erkenntnis aus Transitionsprozessen dieser Art ist jedoch, dass ein fundiertes Verständnis der Fachbereiche und der jeweiligen, spezifischen Produktanforderungen unabdingbar ist und nicht extern eingekauft werden kann.
Ronald Wassermann
Ronald Wassermann ist Koautor des Beitrags. Der Wirtschafts-Ingenieur ist Domänenarchitekt für Base- and Core Services bei der ING Deutschland und hat die architektonische Weiterentwicklung der Systemlandschaft rund um das Kernbankensystem aktiv mitgestaltet. Zuvor war er als IT Consultant tätig.