Der digitale Euro könnte Europas Zahlungsverkehr neu definieren: Banken als digitale Geldautomaten, Verbraucher mit neuen Wallets und ein 6-Parteien-Modell im Fokus. Doch wie unabhängig bleibt die digitale Währung vom Zahlungsverkehr?

Auswirkungen des digitalen Euro auf den europäischen Zahlungsverkehr.
Bis Ende des Jahrzehnts könnte der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt werden und damit das System grundlegend ändern, das aktuell von den Banken und Zahlungsdienstleistern bedient wird. Doch was bedeutet dies konkret für die Akteure des Zahlungsverkehrs? Und warum entwickelt das Eurosystem eigentlich ein Payment Scheme und keine digitale Währung bzw. ein Digital Currency Scheme?
Der digitale Euro bietet die Chance auf ein souveränes Europa und unterstützt die Zielsetzung der EZB, die digitale Geldpolitik im Eurosystem zukunftssicher zu machen. Für die europäische Kreditwirtschaft birgt das Projekt allerdings zahlreiche Risiken – insbesondere im Ökosystem des Zahlungsverkehrs. So könnte sich die Wertschöpfung der Banken auf die Funktion eines digitalen Geldautomaten reduzieren.
Dazu drängt sich die Frage auf, warum es Europa bisher nicht gelungen ist, die etablierte SEPA-Infrastruktur für ein nutzerfreundliches Frontend oder ein eigenes europäisches Zahlungssystem zu nutzen. Ob der digitale Euro die Lösung ist, muss sich also erst noch erweisen.
Doch wie werden sich Kreditwirtschaft, Handel und Verbraucher als Akteure im neuen System überhaupt wiederfinden?
Die 6 Parteien des neuen Systems: Rollen und Verantwortlichkeiten
Mit der Einführung des digitalen Euros übernehmen Banken, Zahlungsdienstleister und Händler neue Rollen und Aufgaben. Für Verbraucher soll er die Funktion von digitalem Geld erfüllen.
Das aktuelle 4-Parteien-Modell im Zahlungsverkehr wandelt sich in ein 6-Parteien-Modell: Im Rahmen des digitalen Eurosystems sind nun sechs Hauptakteure definiert, die spezifische Funktionen übernehmen und das Fundament des digitalen Zahlungsverkehrs in Europa bilden werden.
Die 6 Akteure im „Digitalen Eurosystem“ angelehnt an 2. EZB Fortschrittsbericht zur Rulebook Development Group (RDG) vom 3. Januar 2024.
Digitale Geldautomaten: die Banken als Liquiditätsbereitsteller
Die Retailbanken übernehmen primär die Rolle eines digitalen Geldautomaten. Sie stellen die Digitale-Euro-Liquidität für ihre Kundinnen und Kunden bereit und ermöglichen den Zugriff auf digitales Zentralbankgeld. Die große Herausforderung der Retailbanken besteht darin, dass sie für diese kostenlosen Service-Verpflichtung kaum eine faire finanzielle Kompensation erwarten werden können.
Digitale Geldbörsen: die Anbieter für Digital-Euro-Wallets
Unternehmen wie PayPal, Klarna, Apple, Google, WERO oder die Digital Banking Anwendungen können zu digitalen Geldbörsen und damit zur wichtigen Kundenschnittstelle werden: Sie stellen den digitalen Euro im Alltag zur Verfügung; damit übernehmen sie wesentliche Aufgaben und unterliegen strengen Sicherheits- und Datenschutzanforderungen. Für diese zentrale Rolle und die damit verbundenen Aufwände wird eine Kompensation als Inter-PSP-Gebühr diskutiert, die von dem Händler-Acquirer an die wallet-bereitstellenden Institute gezahlt werden soll. Es ist allerdings unsicher, ob europäische Banken und Sparkassen diese Rolle übernehmen können – auch wenn das Projekt WERO (EPI) Hoffnungen weckt.
Zahler: die Verbraucherinnen und Verbraucher
Verbraucherinnen und Verbrauchern sollen über Digital-Euro-Wallets Zugang zum digitalen Euro haben. Er wird jedoch nicht zum Anlageobjekt. Aus diesem Grund wird eine Betragsgrenze als Haltelimit diskutiert und ein Verzinsungsverbot verordnet. Inwieweit die Zahler die Vorteile des digitalen Euros für sich erkennen werden, ist derzeit jedoch noch offen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sie in der Lage sein werden, das bereits existierende elektronische Giralgeld und das zukünftige digitale Zentralbankgeld zu unterscheiden. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, kommt es neben den Faktoren Sicherheit und Anonymität vor allem auf den täglichen Nutzwert in neuen Anwendungsfällen an.
Zahlungsempfänger: die Händler
Händler, Point-of-Sale-Betreiber und E-Commerce-Unternehmen sollen zur Akzeptanz des digitalen Euros als gesetzliches Zahlungsmittel verpflichtet werden. Der Handel muss also in die Zahlungsinfrastruktur investieren. Die Chance für die Unternehmen liegt darin, ein kommerziell attraktives und weitverbreitetes Zahlungsmittel zu erhalten – falls sich der digitale Euro zu einem solchen für die Zahler entwickelt.
Digital-Euro-Acquirer: Die Händler-PSP
Die Dienstleister des Handels sind in der Regel Payment Service Provider (PSP), die das Digital-Euro-Acquiring übernehmen können, um die Zahlungstransaktionen für die Händler kaufmännisch und technisch abzuwickeln. Akteure wie Adyen, Nexi, Payone, Stripe, PayPal und andere europäische Zahlungsinstitute wären in der Lage, dafür zu sorgen, dass die digitalen Zentralbank-Euros in allen Check-outs akzeptiert werden und dann wieder als Giralgeld auf den Bankkonten der Firmenkunden ankommen. Hierfür sind technische und regulatorische Vorgaben zu erwarten. Da der Gesetzesentwurf ein Null-Haltelimit für Händler vorsieht, sind Ein- und Auszahlungen in digitalen Euros in Echtzeit von dem Acquirer für den Handel zu unterstützen. Für das Digital-Euro-Acquiring sind somit Einzeltransaktions- oder auch Sammelbuchungsprozesse (Cashpooling) zu entwickeln.
Liquiditätsempfänger: Geschäftsbanken der Händler
Oftmals sind die Hausbanken der Händler nicht deren Acquirer. Firmenkundenbanken empfangen und verwalten das Giralgeld als Sichteinlagen für den Handel. Für sie wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wenig verändern. Allerdings tragen sie das Risiko, dass ihre Wertschöpfung mehr und mehr durch die Acquirerbanken übernommen wird. Firmenkundenbanken sollten daher ihre bisherige Akzeptanzstrategie überprüfen.
Der aktuelle Entwurf der Rulebook Development Group (RDG): hohe Anforderungen an das System
Die EZB als Eurosystem übernimmt die zentrale Rolle in der Steuerung und Überwachung des digitalen Euros. Aktuell ist das Design wie ein Payment Scheme angelegt, dass allen Akteuren Regeln mitgeben wird, um so den rechtlichen und technischen Anforderungen zu entsprechen.
Die Regelausgestaltung und das System werden durch die EZB beaufsichtigt. Der Gesetzesentwurf setzt die durchgängige Akzeptanz im Handel sowie Kostenfreiheit und Anonymität für die Verbraucherinnen und Verbraucher voraus. Darüber hinaus bringt er neue Anforderungen an das System und die Arbeitsweise zwischen allen Beteiligten mit sich.
Im aktuellen Entwurf der Rulebook Development Group (RDG) reichen die Vorschriften weit in die Anwendungsfälle der europäischen Verbraucher, Händler und Kreditwirtschaft hinein. Ob es sich dabei also wirklich nur um ein Rahmenwerk handelt, bedarf der finalen Interpretation. Die Veränderungen und die Systemrelevanz sind auf jeden Fall erheblich. Dies lässt sich schon an der geplanten Einführung einer DEAN (Digital-Euro-Account-Number) erkennen. Wer sich in diesem Zusammenhang an „IBAN, die Schreckliche“ erinnert, erfasst die Dimension des bevorstehenden Projekts – auch wenn die Einführung der IBAN schlussendlich ein Erfolg war.
Die neue Funktion der Banken: zu wenig Anreize
Bislang ist es in Europa nicht gelungen, ein eigenes europäisches Zahlungssystem in den Markt zu bringen. Dies erklärt, warum ein Zahlungsverkehrssystem ausgestaltet werden soll, das mit einem internationalen Kartensystem vergleichbar ist, und dass starke Vorgaben bis hin zum Frontend geplant sind. Ob öffentliche Institutionen und Gesetze erfolgreicher sein werden als die bisherigen Bemühungen, bleibt fraglich. Dabei wird das politische Ziel, sich im Euroraum unabhängig aufzustellen, von den meisten Akteuren unterstützt.
Von einer digitalen Währung muss man erwarten können, dass sie einen inhärenten Vermögenswert stellt, der systemunabhängig in allen Zahlungssystemen funktioniert – ohne Geschäftsmodelle beispielsweise für die europäische Kreditwirtschaft vorzugeben. Die faire Gestaltung einer Interchange-ähnlichen Kompensation scheint im 6-Parteien-Modell jedoch eine Herausforderung darzustellen. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Motivation der Banken und Sparkassen begrenzt ist, sich auf die Funktion eines digitalen Geldautomaten zu konzentrieren.
Entscheidend für die digitale Währung: die Unabhängigkeit vom Zahlungsverkehrssystem
Da der Zugang zum digitalen Euro für Verbraucherinnen und Verbraucher kostenlos und die Akzeptanz für Händler verpflichtend sein soll, stellt sich die Frage, wie ein zukünftiges Geschäftsmodell und ein Kompensationsmechanismus im Produktdesign abgebildet werden können. Außerdem werden die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Wirtschaft einen relevanten Nutzen für sich erwarten: Die Politik hat das Vorhaben also auch dahingehend zu hinterfragen.
Um eine bargeldähnliche Anonymität für Zahler und Zahlungsempfänger zu gewährleisten, ist ein sehr hoher Grad an Pseudonymisierung notwendig. Eine eineindeutige DEAN ruft hier Skepsis hervor. Die Nachvollziehbarkeit der abwickelnden Parteien wäre in pseudonymisierten Schlüsseln jedoch denkbar, beispielsweise um die Kompensation zwischen dem Digital-Euro-Wallet-Anbieter und der herausgebenden Bank zu ermöglichen.
SEPA: das Zahlnetzwerk für die digitale Währung in Europa
Warum sind digitale Euros also keine digitalen Münzen? Diese könnten im Zahlungsverkehr beliebig transportiert und mit Giralgeld gewechselt werden. Solche Digital Euro Coins wären als Token zwischen den Wallets verarbeitbar. Sie wären sicher, vertrauensfördernd und nachvollziehbar – ohne dabei den Anspruch an eine sehr hohe Pseudonymisierung aufzugeben.
Im aktuellen Fortschrittsbericht vom 2. Dezember 2024 artikuliert die EZB, dass „ein digitaler Euro die geschätzten Eigenschaften von Banknoten in die digitale Sphäre bringen würde“. Sie spricht aber im selben Report auch von einer digitalen Zahlungsoption: „Ein digitaler Euro würde Bargeld ergänzen, indem er Verbraucherinnen und Verbrauchern eine digitale Zahlungsoption bietet, die kostenlos, sicher und einfach zu bedienen ist.“ Eine klare Abgrenzung zwischen Geldpolitik und Zahlungsverkehr ist dies nicht.
Wenn die EZB Rulebook Development Group versucht, „bestehende Standards so weit wie möglich wiederzuverwenden“, wäre die intensivere Nutzung der SEPA-Infrastruktur naheliegend: Die Liquiditätsbereitstellung, also das Auf- und Entladen digitaler Geldbörsen, könnte auch über die bestehende Echtzeit-SEPA-Infrastruktur beispielsweise via SEPA Request-to-Pay und SEPA Credit Transfer Instant (SCTinst) erfolgen.
Im Rahmen der G20-Initiative würde dies auch die Interoperabilität mit anderen Währungsregionen eröffnen – durch grenzüberschreitende Echtzeitzahlungen beispielsweise via dem Projekt Nexus der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS). Digitale Wechselstuben sind im Regelwerk aber bislang nicht vorgesehen.
So könnte ein alternativer Digital Euro Coin aussehen, der auf der bestehenden SEPA-Zahlungsverkehrsinfrastruktur aufbaut.
Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher möchten in ihren vertrauten, digitalen Geldbörsen zukünftig neben digitalen Karten auch digitale Währungen oder andere Zahlungsinstrumente führen – so wie sie es von ihrem physischen Portemonnaie gewohnt sind. Daher ist es unwahrscheinlich, dass eine separate Digitale-Euro-Geldbörse eine eigene hohe Alltagsrelevanz erreichen kann.
Unternehmen sollten Transparenz darüber schaffen, wie der digitale Euro ihr Geschäftsmodell beeinflusst, und Kompetenzen gezielt aufbauen, um die Integration in bestehende und zukünftige Zahlungssysteme wertschöpfend zu gestalten. Gleichzeitig gilt es, innovative Dienstleistungen zu entwickeln und durch Change-Management-Prozesse eine kundenorientierte Transformation voranzutreiben.