Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – Der Countdown läuft

Ein Blick über den Atlantik zeigt mögliche Folgen

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Ab 28. Juni 2025 müssen Finanzinstitute barrierefreien Zugang zu Bankdienstleistungen gewährleisten. Ein Blick in die USA, wo dies seit 2019 gilt, zeigt die Anforderungen und möglichen Folgen für Unternehmen, die ihre Angebote nicht rechtzeitig anpassen.

Was das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für Banken bedeutet

Ein Blick in die USA zeigt, was das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für Banken bedeuten könnte.

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Unternehmen in der Europäischen Union müssen ab dem 28. Juni 2025 Menschen mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang zu Computern, Smartphones, Tablets und Online-Diensten wie Webseiten und Apps gewährleisten – also auch zu digitalen Bankdienstleistungen.

Wie schnell und mit welcher Härte die Aufsichtsbehörden Verstöße gegen den European Accessibilty Act (EAA) und die darauf basierenden nationalen Gesetze, in Deutschland „Barrierefreiheitsstärkungsgesetz“, ahnden werden, ist völlig offen. Für Finanzdienstleister und andere Unternehmen lohnt sich aber ein Blick in die USA, wo jährlich tausende Klagen wegen mangelnder digitaler Barrierefreiheit eingereicht werden.

USA: Klagewelle nach der digitalen Barrierefreiheit

US-Unternehmen sind schon länger verpflichtet, Menschen mit Behinderungen einen diskriminierungsfreien Zugang zur digitalen Welt zu gewährleisten. Die Zahl der Gerichtsverfahren wegen angeblicher Nichteinhaltung dieser Regeln steigt.

Trotz vieler Unkenrufe über die vermeintliche Regulierungswut Europas sind uns die Amerikaner in Sachen digitaler Barrierefreiheit für Menschen mit dauerhaften oder vorübergehenden Einschränkungen – wie Feinmotorik Störungen, Seh- oder Farbenblindheit, Gehörlosigkeit, Legasthenie – um einige Jahre voraus. Spätestens seit ein US-Bundesgerichtsurteil 2019 den Americans with Disabilities Act (ADA) auf das Internet ausgeweitet hat, gilt dessen Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen in Bereichen des öffentlichen Lebens aus dem Jahr 1990 online genauso wie offline – also auch und gerade für Unternehmen.

Dieser Schritt hat zwar das Bewusstsein für digitale Barrierefreiheit in den USA geschärft, zeigt aber auch, dass sich viele Unternehmen mit der Anpassung ihrer Websites und digitalen Inhalte noch schwertun – und damit nun ein erhöhtes rechtliches Risiko eingehen. Zählte die Beratung UsableNet im Jahr 2017 “nur” 814 Klagen gegen US-Unternehmen wegen mangelnder digitaler Barrierefreiheit, waren es 2018 bereits 2.285 und 2023 sogar 4.605. „Viele Unternehmen haben mehrere Klagen auf Grundlage des ADA erhalten”, erklärt UsableNet seine jüngsten Zahlen. „Oft bezieht sich die erste Klage auf die Website und die zweite auf eine mobile App.”

WACG als Standard für digitale Barrierefreiheit

Maßstab für den barrierefreien Zugang zur digitalen Welt sind in den USA und künftig auch in Europa die Web Content Accessibility Guidelines (WACG), ein weltweit anerkannter Standard, der darauf abzielt, digitale Inhalte für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Insgesamt 86 Kriterien machen Barrierefreiheit messbar und sollen sicherstellen, dass alle Informationen auf und Komponenten von Benutzeroberflächen für Nutzer mit Behinderungen gut wahrnehmbar sind, aber auch bedienbar, verständlich und robust (etwa für den Einsatz assistierender Technologien zur Interpretation oder anderweitiger Übermittlung von Inhalten).

Konkret bedeutet dies, dass Webseiten bestimmte Kontraste zwischen Text und Hintergrund, Textalternativen für Nicht-Text-Inhalte (Fotos), anpassbare Darstellungen (Vergrößerungen), volle Tastaturbedienbarkeit (als Alternative zur Maus), einfache und verständliche Sprache, eine vorhersehbare Benutzeroberfläche (ohne Pop-up-Überraschungen) und Kompatibilität mit anderen Browsern und Geräten (Screenreadern) gewährleisten müssen. Beispielsweise sind Farbsignale für Farbenblinde oft nicht erkennbar: Ein Hinweistext ist daher eine wichtige Ergänzung zu einem roten Feld, das etwa auf eine fehlende E-Mail-Adresse aufmerksam macht.

WebAIM-Report: Barrierefreiheit bleibt eine Hürde

Wie schwer sich Unternehmen mit diesen Vorgaben tun, hat kürzlich wieder der Verband Web Accessibility in Mind (WebAIM) gezeigt. Bei einem jährlichen Konformitäts-Check der weltweit eine Million meistbesuchten Homepages (knapp die Hälfte davon englischsprachig) entdeckte WebAIM 56.791.260 verschiedene Beschränkungen der Barrierefreiheit. Das waren im Schnitt 56,8 Fehler pro Seite, fast 14 Prozent mehr als im Jahr 2023 – ein ernüchternder Trend, der laut WebAIM auch auf die zunehmende Komplexität der Webseiten zurückzuführen ist.  95,9 Prozent der Homepages wiesen Fehler nach dem gängigen Standard WACG 2 auf.

Laut WebAIM waren 81 Prozent der getesteten Webseiten nicht ausreichend kontrastreich, 54,5 Prozent hatten keine Textalternativen zu Fotos und Grafiken und 48,6 Prozent bei Eingabefeldern keine schriftlichen Fehlerhinweise. “In den letzten 5 Jahren ist die Zahl der Seiten mit erkennbaren WCAG-Fehlern von 97,8 Prozent um nur 1,9 Prozent zurückgegangen,” bemängelt der im März 2024 veröffentlichte Bericht. “Dabei handelt es sich nur um automatisch erkannte Fehler, die mit hoher Zuverlässigkeit mit WCAG-Konformitätsfehlern übereinstimmen, was darauf schließen lässt, dass die Rate der vollständigen […] Konformität sicherlich niedriger war.”

Verteilung der gefundenen WCAG-Mängel – WebAIM-Report 2024

Der WebAIM-Report prüft die einflussreichsten Seiten im Internet und stellte 2024 fest, dass 95,9 Prozent dieser Homepages WCAG-Mängel aufwiesen.

Denn der WebAIM-Report bezieht sich “nur” auf maschinell geprüfte Fehler, womit nur circa 30 Prozent aller Fehler abgebildet werden können – die meisten, wie etwa Codierungsprobleme, fallen erst beim manuellen Testen auf. Natürlich müssen sich Unternehmen in erster Linie mit den „leichten” Fehlern auseinandersetzen: Diese zu beheben, führt durchaus zu einem „Quality of Life“-Update einer Website. Aber dieser Schritt garantiert noch lange nicht digitale Barrierefreiheit.

Handlungsdruck für Europa: Barrierefreiheit bis Juni umsetzen

Um „amerikanische Verhältnisse” zu vermeiden, sollten Finanzdienstleister in Europa schnell handeln. Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeiter und einem Jahresumsatz oder einer Bilanzsumme von mehr als 2 Millionen Euro haben, müssen ab Ende Juni barrierefreie digitale Angebote gewährleisten – von Bank- und Transportdienstleistungen über Computer und Betriebssysteme bis hin zu Bezahl- und Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten. Online-Selbstbedienungsangebote, Webseiten, Apps, Kundensupport, PDF-Dokumente und auch manche analogen Dienstleistungen müssen für wirklich alle Menschen problemlos nutzbar sein.

Unternehmen müssen prüfen, welche Ihrer Produkte und Dienstleistungen vom EAA – und seinen Umsetzungsgesetzen wie das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Deutschland oder das Barrierefreiheitsgesetz (BaFG) in Österreich – betroffen sind und wie Kunden mit ihnen in Kontakt kommen. Sie müssen diese Kontaktpunkte nach WCAG-Kriterien prüfen und Anpassungen definieren. Danach kommt es zur Umsetzung und Langzeitsicherung. Hierfür brauchen Unternehmen gezielt geschulte Mitarbeiter, die nicht nur anstehende Anpassungen rechtskonform, sondern auch künftige Projekte von Grund auf barrierefrei gestalten können.


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Über den Autor

Christoph Edlinger-Kerle

Christoph Edlinger-Kerle ist Growth Manager und Verantwortlicher für das Thema Barrierefreiheit bei applied by zeb, dem zeb-eigenen Studio für Produktdesign und -entwicklung. Der Master of Science war zuvor u.a. als Key Account Manager tätig.

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