Chicago-Plan 2.0: Rettung oder Risiko für das Bankwesen?

Risiken digitaler Zentralbankwährungen

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Die Wiederbelebung des Chicago-Plans durch digitale Zentralbankwährungen (CBDCs) verspricht Stabilität und Gerechtigkeit, könnte jedoch Geschäftsbanken obsolet machen, Innovation hemmen und Überwachung begünstigen.

Mehr Stabilität durch digitale Zentralbankwährungen?

Bieten digitale Zentralbankwährungen mehr Stabilität und Gerechtigkeit?

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Ein Plan, der seit hundert Jahren vor sich hin dümpelt, könnte im digitalen Zeitalter bald zu neuem Leben erwachen. Der Chicago-Plan, der ursprünglich während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre vorgeschlagen wurde, sah eine radikale Umstrukturierung des Finanzsystems vor, um die durch spekulative Kreditzyklen verursachte Instabilität zu beseitigen. Während seine Prinzipien einst impraktikabel schienen, bietet das Aufkommen digitaler Zentralbankwährungen (Central Bank Digital Currencies, kurz CBDCs) nun die technologischen Mittel, um ihn umzusetzen.

Das Stabilitätsversprechen hat jedoch einen verborgenen Preis: das Verschwinden des kommerziellen Bankwesens, wie wir es kennen, sowie eine Verlagerung hin zu einer beispiellosen Zentralisierung der Finanzmacht.

Die radikale Prämisse des Chicago-Plans

Der Chicago-Plan wurde nach den Bankenkrisen der 1930er Jahre entwickelt, die die Fragilität des Mindestreserve-Bankwesens deutlich machten. Ökonomen der Universität Chicago wie Frank H. Knight und Henry C. Simons schlugen ein System vor, das auf zwei Grundprinzipien aufbaut:

  • Vollreserve-Banking und
  • die Trennung von Geldschöpfung und Kreditvergabe.

Nach diesem Plan würden die Banken kein Geld mehr durch das Ausleihen von Sichteinlagen schaffen. Stattdessen würde jeder Dollar im Finanzsystem vollständig durch Zentralbankreserven gedeckt sein. Die Kreditvergabe würde von spezialisierten Institutionen wie öffentlichen Investitionsbanken, Genossenschaftsbanken oder gemeinnützigen Kreditfonds übernommen, so dass die Kreditvergabe nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich der Einlagenbanken fällt.

Dieser Vorschlag versprach das Ende von Bank-Runs, die Verringerung des Systemrisikos und die Beseitigung der durch spekulative Kredite ausgelösten Boom-and-Bust-Zyklen. Theoretisch bot der Chicago-Plan ein sichereres, stabileres Finanzsystem.

In der analogen Welt des 20. Jahrhunderts war es jedoch logistisch unmöglich, ein solches System umzusetzen. Die Infrastruktur zur Durchsetzung dieser Grundsätze war einfach nicht vorhanden. Heute bieten CBDCs die technologische Grundlage, die den Chicago-Plan Wirklichkeit werden lassen könnte – allerdings zu einem erheblichen Preis für die Struktur des modernen Bankwesens.

CBDCs: Ein Game Changer für die Geldpolitik

Digitale Zentralbankwährungen sind vermeintlich digitale Abbilder von staatlichen Zahlungsmitteln, die direkt von Zentralbanken ausgegeben und kontrolliert werden. Im Gegensatz zu dezentralen Kryptowährungen sind CBDCs zentralisiert und programmierbar, so dass zentrale Behörden die direkte Kontrolle über die Geldmenge ausüben können. Diese Merkmale stimmen eng mit den Grundsätzen des Chicago-Plans überein.

Erstens würden die CBDCs das Vollreserve-Banking möglich machen. Jede Einheit einer CBDC würde eine direkte Verbindlichkeit der Zentralbank darstellen, wodurch sichergestellt würde, dass alle Einlagen vollständig durch Reserven unterlegt sind. Dies würde das Risiko des Mindestreserve-Bankgeschäfts beseitigen, bei dem Geschäftsbanken potentiell mehr Geld verleihen als sie tatsächlich halten.

Zweitens könnten Zentralbanken mit Hilfe von CBDCs die Geldmenge direkt steuern und die Geschäftsbanken vollständig umgehen. Durch die Trennung von Geldschöpfung und Kreditvergabe könnten CBDCs die spekulativen Kreditzyklen beseitigen, die häufig zu Wirtschaftskrisen führen.

Das Ende von Geschäftsbanken, wie wir es kennen

Während die Einführung von digitalem Zentralbankgeld die Vision des Chicago-Plans von finanzieller Stabilität erfüllen könnte, würde dies auch das Verschwinden des traditionellen Geschäftsbankenmodells bedeuten. Geschäftsbanken erfüllen heute zwei entscheidende Funktionen: Sie dienen als Vermittler zwischen Einlegern und Kreditnehmern und schaffen Geld durch Kreditvergabe. CBDCs würden beide Funktionen überflüssig machen.

Die Einleger wären nicht mehr auf die Geschäftsbanken angewiesen, um ihr Geld zu halten, da die CBDCs direkt von den Zentralbanken ausgegeben und bei diesen gehalten würden. Ebenso würde die Rolle der Geschäftsbanken bei der Geldschöpfung verschwinden, da die Zentralbanken das Angebot an digitaler Währung kontrollieren würden. Die Kreditvergabe würde im Rahmen des Chicago-Plans von separaten Institutionen wie öffentlichen Investitionsbanken oder genossenschaftlichen Kreditgenossenschaften verwaltet werden. Dies würde die Finanzlandschaft grundlegend verändern, den Einfluss der Geschäftsbanken verringern und die finanzielle Macht in den Händen des Staates zentralisieren.

Die Folgen eines solchen Wandels wären tiefgreifend: Einerseits könnte die Abschaffung der Fähigkeit der Geschäftsbanken zur Geldschöpfung die systemischen Risiken verringern und mehr Transparenz in das Finanzsystem bringen. Andererseits könnte das Fehlen von Geschäftsbanken Innovationen bremsen. Banken, die durch den Wettbewerb angetrieben werden, waren in der Vergangenheit Drehscheiben der finanziellen Kreativität und haben Produkte und Dienstleistungen eingeführt, die das Wirtschaftswachstum angekurbelt haben. Ein System, das von zentralisierten Institutionen dominiert wird, könnte die Dynamik und Anpassungsfähigkeit des derzeitigen Modells vermissen lassen.

Die Abschaffung der Geschäftsbanken: Ein Schritt in Richtung Sozialismus?

Das Verschwinden der Geschäftsbanken, wie es im Chicago-Plan vorgesehen war und durch CBDCs nun ermöglicht würde, würde das Finanzsystem und die sozioökonomische Struktur der Wirtschaft grundlegend verändern. Ein solch zentralisiertes Modell, bei dem Finanzmacht und Geldschöpfung vollständig vom Staat kontrolliert werden, würde die Bedingungen widerspiegeln, die im Ostblock während des 20. Jahrhunderts herrschten. In diesen Volkswirtschaften waren das Fehlen privater Finanzinstitute und die zentrale Kontrolle über die Ressourcenzuteilung Markenzeichen sozialistischer, wenn nicht gar kommunistischer, Systeme.

Durch die Abschaffung der wettbewerbsorientierten, dezentralen Funktionen des Geschäftsbankwesens könnte dieser Wandel den Weg für eine stärker staatlich kontrollierte Wirtschaft ebnen, die individuelle und unternehmerische Freiheiten zugunsten einer kollektivistischen Finanzverwaltung einschränkt.

Während Befürworter argumentieren, dass dies für Stabilität und Gerechtigkeit sorgt, warnen Kritiker, dass dadurch die Gefahr besteht, ein zentralisiertes Wirtschaftssystem zu schaffen, in dem Innovationen stagnieren und die finanzielle Autonomie unter dem Gewicht der staatlichen Kontrolle erodiert.

Die dunkle Seite der Zentralisierung

Die durch digitales Zentralbankgeld ermöglichte Zentralisierung birgt erhebliche Risiken, insbesondere in Bezug auf die finanzielle Autonomie und die Privatsphäre des Einzelnen. Im Gegensatz zu physischem Bargeld wären CBDCs nie vollständig im Besitz von Einzelpersonen. Zentralbanken, die dann stets als Intermediäre fungieren, könnten die Verwendung des Geldes einschränken. Sie könnten Transaktionen blockieren, Ausgabenbeschränkungen auferlegen oder sogar Konten einfrieren, was die Beziehung zwischen den Bürgern und ihrem Geld grundlegend verändern würde.

Außerdem würden CBDCs aus technischer Sicht den Regierungen beispiellose Überwachungsmöglichkeiten bieten. Jede Transaktion würde in einem digitalen Hauptbuch aufgezeichnet, so dass die Behörden Ausgabengewohnheiten, politische Zugehörigkeit und sogar Lebensstilentscheidungen verfolgen könnten. Dieses Maß an Kontrolle könnte zur Durchsetzung politischer Ziele genutzt werden, z. B. zur Bestrafung von Käufen, die als schädlich für die Gesellschaft erachtet werden, oder zur Beschränkung der Mittelnutzung für bestimmte Aktivitäten. Befürworter argumentieren zwar, dass solche Maßnahmen Korruption und Steuerhinterziehung eindämmen könnten, doch werfen sie auch ernsthafte Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der bürgerlichen Freiheiten auf.

Die Programmierbarkeit von digitalem Zentralbankgeld schafft auch das Potenzial für direkte staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsverhalten. Regierungen könnten digitale Währungen mit einer zeitlich begrenzten Gültigkeit versehen, um in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs die Ausgaben zu fördern, oder das Sparen bestrafen, indem sie eine Abwertung in die Währung programmieren. Diese Instrumente sind zwar aus wirtschaftspolitischer Sicht mächtig, könnten aber das Vertrauen in Geld als stabiles Wertaufbewahrungsmittel untergraben.

Das Verschwinden des Geschäftsbankwesens würde einen seismischen Wandel in der Finanzlandschaft bedeuten, der sich auf Innovation, Wettbewerb, Wirtschaftswachstum und nicht zuletzt auf Arbeitsplätze auswirken würde.

Fortschritt oder Gefahr?

Da sich die Welt nicht nur auf die Einführung von CBDCs zubewegt, sondern auch auf eine Situation zusteuert, die an die 1930er Jahre erinnert, dienen die Lehren aus dem Chicago-Plan sowohl als Leitfaden als auch als Warnung: Das Potenzial, ein sichereres und stabileres Finanzsystem zu schaffen, liegt in Reichweite, aber die Kosten einer solchen Umgestaltung wären enorm. Sie würde sowohl die bürgerlichen Freiheiten als auch das Wirtschaftssystem als Ganzes stark beeinträchtigen.

Das kommerzielle Bankwesen, ein Eckpfeiler moderner Volkswirtschaften, könnte zu einem Relikt der Vergangenheit werden. Damit besteht die Gefahr, dass wir die Innovation und den Wettbewerb verlieren, die den finanziellen Fortschritt seit Jahrhunderten vorangetrieben haben.

Über den Autor

Prof. Dr. Patrick Schüffel

Patrick Schüffel ist Professor am Institut für Finanzen der Hochschule für Wirtschaft Freiburg (Schweiz) und der Liaison Officer der Hochschule in Singapur. Zuvor war er in verschiedenen leitendenden Funktionen im Schweizer Banking tätig, u.a. als Chief Operating Officer und Vorstandsmitglied für die Saxo Bank (Schweiz) AG und als Head Innovation im Bereich “Investment Services & Products” der Credit Suisse. Neben seiner akademischen Tätigkeit ist er als freiberuflicher Unternehmensbereiter und Investor im Finanzbereich in Südostasien aktiv, wo er regelmäßig Brücken zwischen Asien und Europa schlägt.

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