Bargeldlose Zukunft – Realität oder Fiktion?

Gebrauch und Bedeutung von Bargeld

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Viele Personen bezahlen immer seltener mit Bargeld. Trotzdem will die Mehrheit der Bevölkerung Bargeld nicht abschaffen. Was sind die Gründe für dieses Bargeldparadoxon?

Zukünftige Bedeutung von Bargeld als Zahlungsmittel

Eine Analyse der Bedeutung und des Gebrauchs von Bargeld.

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Der Zahlungsmittelmarkt ist stets im Wandel. Anfänglich wurde mit Naturalgeld wie bspw. Muscheln und Salz bezahlt, gefolgt von Münzen aus Gold und Silber. Diese wurden durch Papiergeld ersetzt, welches wiederum dem Plastikgeld in Form von Zahlungskarten Platz machte. Zahlungsmittel und Geldform waren am Anfang dasselbe, wobei im Zeitverlauf eine Entkopplung stattfand: Zahlungsmittel verschwinden zunehmend, die Geldform ist heute überwiegend elektronisch.

Evolution der Zahlungsmittel und Geldformen

Im Lauf der Zeit ersetzen effizientere Zahlungsmittel weniger effiziente Zahlungsmittel.

Die Geschichte zeigt, dass neue Zahlungsmethoden – so auch im historischen Kontext Bargeld –zum Zweck der unkomplizierten Wertübertragung entstanden. Es etablierten sich jeweils diejenigen Zahlungsmethoden, welche die Effizienz der ökonomischen Interaktion stark erhöhten und die Transaktionskosten reduzierten. Wird Bargeld also bald verschwinden?

Der Bargeldgebrauch nimmt ab

In der Schweiz hat rund jede sechste Person üblicherweise kein Bargeld auf sich. Es wird immer weniger mit Bargeld bezahlt, dafür häufiger mit Zahlungskarten und mit dem Mobiltelefon. Mobiles Bezahlen, allen voran Twint (die Schweizer Zahlungs-App), wächst in der Schweiz rasant. Die Corona-Pandemie wirkte dabei als Katalysator. Auch in anderen europäischen Ländern wird immer weniger Bargeld verwendet.

Ein Treiber für den abnehmenden Bargeldgebrauch sind angebotsgetriebene Faktoren. Es gibt immer mehr Orte und Möglichkeiten, an physischen Verkaufspunkten bargeldlos zu bezahlen, an welchen früher nur mit Bargeld bezahlt werden konnte (bspw. Parkuhren, Hofläden und Automaten). Zudem ergeben sich mit digitalen Anwendungen immer mehr Anwendungsfälle, für welche Bargeld nicht infrage kommt.

Ein weiterer Treiber für den abnehmenden Bargeldgebrauch sind nachfragegetriebene Faktoren. Die Bevölkerung bezahlt immer häufiger bargeldlos, weil vielfach die Geschwindigkeit, Bequemlichkeit und Nutzerfreundlichkeit von bargeldlosen Zahlungsmitteln, insbesondere von mobilem kontaktlosem Bezahlen, in den Augen der meisten Personen im Vergleich zu Bargeld überwiegen.

Es lassen sich drei Bargeldparadoxa beobachten

Nichtsdestotrotz gab es anfangs 2021 wertmässig (und im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt) noch nie so viel Bargeld im Umlauf in der Schweiz und in der Eurozone, obwohl die Bevölkerung immer weniger davon Gebrauch macht (erstes Bargeldparadox). Seit der positiven Zinswende geht der Bargeldanteil am Bruttoinlandprodukt wieder zurück. Rund die Hälfte des Bargeldumlaufs macht wertmässig die Tausendernote in der Schweiz aus. Die Nachfrage nach hohen Notenstückelungen steigt bei jeder Krise deutlich an (z.B. Finanzkrise, Corona-Pandemie). Sie dienen häufig als Wertaufbewahrungs- statt als Zahlungsmittel, insbesondere die Tausendernote.

Bei der Frage nach der Einstellung zu einer möglichen Abschaffung von Bargeld zeigt sich in der Schweiz eine stetige Zunahme beim Anteil der Bevölkerung, der sich klar gegen eine Abschaffung von Bargeld ausspricht. Insgesamt lehnen zwei Drittel der Bevölkerung eine Abschaffung von Bargeld eher oder klar ab, obwohl sie immer weniger bar bezahlen (zweites Bargeldparadox). Womöglich spielen emotionale Gründe eine Rolle und/oder andere Eigenschaften von Bargeld (siehe unten).

Das dritte Bargeldparadox basiert auf der Tatsache, dass die Schweizer Bevölkerung durchschnittlich mehr Bargeld im Portemonnaie und zu Hause aufbewahrt, obwohl sie immer weniger mit Bargeld bezahlt. Es gibt Evidenz, dass die Leute weniger oft Bargeld abheben, dafür aber höhere Beträge. Ein Grund könnte darin liegen, dass die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Bargeldbezugspunkten (Geldautomaten und Bankfilialen) gemäss subjektivem Empfinden abgenommen haben. Unsere objektive Analyse bestätigt diesen Befund.

Ein Teufelskreis könnte einsetzen

Bargeldnutzung, Bargeldzugang und Bargeldakzeptanz beeinflussen sich gegenseitig und können einen selbstverstärkenden Prozess auslösen: Infolge abnehmender Bargeldnutzung seitens der Konsumenten und Unternehmen beziehen sie weniger Bargeld, was Bargeldzugangspunkte wie Geldautomaten unrentabel macht und sie daher verschwinden. Zudem fördern die im Vergleich zu früheren Jahren häufiger auftretenden Sprengungen von Geldautomaten diese Entwicklung, weil insbesondere die Kosten für Versicherungen und damit einhergehend die Fixkosten der Geldautomaten steigen.

Für Banken verursacht die Bargeldversorgung somit hauptsächlich Kosten statt Ertrag. Folglich stellen Händler vermehrt auf bargeldlose Zahlungsmittel um und beschränken die Möglichkeit der Barzahlung. Konsumenten erleben diese Einschränkung bei der Verwendung von Bargeld und neigen deshalb vermehrt dazu, bargeldlose Zahlungsmittel zu nutzen, was wiederum die Verwendung von Bargeld verringert.

Dies führt schliesslich wiederum zu einer Abnahme von Zugangspunkten, was die Nachfrage nach Bargeld weiter drückt. Ein Teufelskreis setzt ein. In der Schweiz und in Deutschland sind negative Tendenzen erkennbar, aber eine sich verstärkende Negativspirale ist bislang (noch) nicht festzustellen. Negative Spiralen dieser Art waren vor allem in Schweden, aber auch in den Niederlanden und in Grossbritannien zu beobachten und haben massgeblich zur Reduzierung der Bedeutung von Bargeld beigetragen.

Potenzielle Negativspirale in der Bargeldverwendung

Wechselwirkungen zwischen Akzeptanz, Zugang und Nutzung von Bargeld können sich gegenseitig verstärken.

Alternative Bargeldbezugsstellen sind eher komplementär zu Geldautomaten

Alternative Bezugs- und Einzahlungsmöglichkeiten an physischen Verkaufspunkten sind eher komplementär zu klassischen Zugangspunkten von Bargeld zu betrachten. Dies, weil erstens die Nachfrage nach Bargeld und gewissen Notenstückelungen an Verkaufskassen nicht im besagten Ausmass befriedigt und bereitgestellt werden kann und zweitens Bargeld regelmässig auf Echtheit überprüft und recycelt werden muss. Diese Aufgaben übernehmen traditionell immer noch die klassischen Banken. Ihre starke Einbindung in den Bargeldkreislauf ist daher weiterhin unerlässlich.

Dasselbe gilt für die Zentralbank: Sie führt eine besonders zuverlässige Echtheitsprüfung von Bargeld durch und vernichtet Banknoten, die nicht mehr umlauffähig sind. Gleichzeitig sorgt sie für «frisches» Bargeld, das primär über den Bankensektor verteilt wird – sei es über den Handel als Wechselgeld oder direkt für den Konsumenten via Bargeldbezug.

Einzigartige Eigenschaften von Bargeld

Im Gegensatz zu bargeldlosen Zahlungsmitteln, welche auf Buchgeld basieren, ist Bargeld eine Verbindlichkeit der Zentralbank ohne Schuldnerrisiko, sprich Notenbankgeld, welches der monetäre Anker des heutigen Geldsystems ist. Es ist gesetzliches Zahlungsmittel mit Zahlkraft und Annahmepflicht und das einzige physische Zahlungsmittel mit hoher Transparenz und hohem „Schmerz des Bezahlens“. Es garantiert die finanzielle Inklusion, ist krisenresilient gegenüber Ausfällen der digitalen Infrastruktur, optimiert die Budget- und Ausgabenkontrolle, garantiert Anonymität und Datenschutz, ist technisch zuverlässig und einfach nutzbar. Zudem ist es lagerfähig und dient neben dem Zahlungs- auch als Wertaufbewahrungsmittel.

Diese einzigartigen Eigenschaften erfüllt bis dato noch kein anderes Zahlungsmittel. Das Ziel einer Retail Central Bank Digital Currency (CBDC) ist es, diese Eigenschaften zu kopieren. Es ist jedoch unlösbar, alle Eigenschaften von Bargeld digital abzubilden, allen voran die Greifbarkeit. Ebenso bestehen Schwierigkeiten bei der Garantie der Anonymität. Retail CBDC wird deshalb wohl eher als komplementäres Gut statt als Substitut zu Bargeld dienen.

Fazit: Bargeld wird noch lange nicht verschwinden

Der Gebrauch von Bargeld als Zahlungsmittel nimmt weiter ab, während Bargeld als Wertaufbewahrungsmittel weiterhin beliebt bleibt. Bargeld wird nicht gänzlich verschwinden, weil es einzigartige Eigenschaften besitzt und die Mehrheit der Bevölkerung an Bargeld festhalten will.

Nichtsdestotrotz stellen sich zukünftig Herausforderungen hinsichtlich bezahlbare Bargeldversorgung, insbesondere wenn der Bargeldgebrauch auf ein Minimum sinkt. Will man an Bargeld festhalten, müssen über die Optimierung des Bargeldkreislaufs, gesetzliche Vorgaben zur Annahme und Erreichbarkeit von Bargeld sowie über die Subventionierung bzw. Finanzierung von Bargeld als «öffentliches Gut» diskutiert werden.

Über den Autor

Tobias Trütsch

Tobias Trütsch ist Geschäftsführer und Leiter des Center for Financial Services Innovation (FSI-HSG) an der Universität St. Gallen (HSG). Sein Forschungsinteresse gilt der Zahlungsverkehrs- und Geldwirtschaft, insbesondere innovativen Zahlungsprodukten, Bargeld und dem individuellen Zahlungsverhalten. Er ist Autor zahlreicher Studien und tritt regelmässig in Medien auf.

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