Bis 2035 wandelt sich die Baufinanzierung grundlegend: Wohnraummangel, Digitalisierung & neue Kundenerwartungen erfordern smarte, nachhaltige Wohnkonzepte – Banken müssen vom Kreditgeber zum Lösungsanbieter in vernetzten Ökosystemen werden.

Perspektiven für die Baufinanzierung im Jahr 2035.
Gesellschaftliche Herausforderungen wie der Wohnraummangel und der demographische Wandel erhöhen den Druck altersgerecht und barrierfreie Wohnkonzepte zu gestalten sowie smarte und ökologische Wohnlösungen zu entwickeln.
Prognosen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigen, dass derzeit jährlich rund 320.000 neue Wohnungen benötigt werden, um den Bedarf an Wohnraum zu. Dies wird sich auch auf das Geschäft mit den Baufinanzierungen auswirken.
Erfolgreiche Banken werden daher im Jahr 2035 nicht mehr ausschließlich als Finanzierer auftreten können, sondern sich zunehmend zu Beratern und Lösungsanbietern entwickeln. Dieses umfasst die aktive Unterstützung von Bauherren bei nachhaltigen Bauprojekten, modularen Bauweisen oder auch gemeinschaftlichen Wohnens (wie z.B. Co-Housing, Tiny Houses, Mehrgenerationenhäuser). Dabei muss sich das Produkt Baufinanzierung bis zum Jahr 2035 anpassen und flexibilisieren, um stärker auch das temporäre Wohnen und neue Wohnlösungen abzubilden.
Kundenerwartungen: High-Tech trifft High-Touch
Es ist davon auszugehen, dass Kunden im Jahr 2035 digital versiert sind und Geschwindigkeit, Transparenz sowie Personalisierung erwarten. Bereits heute haben Privatkunden wenig Verständnis für Kreditprozesse, die sehr lange dauern. Für papierhafte Anträge und damit bedingte mehrtägige Wartezeiten wird bereits heute wenig Akzeptanz entgegengebracht. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass auch bei der jüngeren Generationen der Wunsch nach persönlicher Beratung bestehen bleibt, da die Baufinanzierung im Leben vieler eine einmalige Investitionsentscheidung darstellt. Banken müssen daher nahtlose Übergänge schaffen, um digital angefangene Prozesse in persönlichen Gesprächen und vice versa weiterzuführen.
Dieses hybride Erlebnis – High-Tech im Prozess, aber bei Bedarf persönliche Unterstützung – wird zum Standard. Institute, die gezielt ihre Infrastruktur anpassen, können bis 2035 agil auf Marktänderungen reagieren und sich Wettbewerbsvorteile sichern. Dies erreichen sie, indem sie dem richtigen Kunden zur richtigen Zeit das richtige Angebot machen. Banken, die ihre Kunden kennen und individuelle Bedürfnisse vorab identifizieren, können die Kundenzufriedenheit steigern und ihre Kunden langfristig binden.
Die Digitalisierung in der Baufinanzierung wird mit der geplanten EU-Verordnung Financial Data Access (FiDA) unterstützt. Die Regulierung verpflichtet Banken dazu Kundendaten sicher, standardisiert und in Echtzeit mit Drittanbietern zu teilen. Mit FiDA wird sich Open Banking zu einem umfassenden Open-Finance-Ökosystem weiterentwickeln, das nicht nur den umfassenden Datenaustausch zwischen Finanzmarktteilnehmern ermöglicht, sondern auch interne Prozesse durch den technischen Fortschritt enorm beschleunigt. Die Umsetzung von FiDA wird die Transformation der Legacy-Systeme hinzu Cloud-fähigen, API-offenen und skalierbaren Infrastrukturen fördern, was auch Banken neue Möglichkeiten und Use Cases bietet.
Digitale Transformation: End-to-End-Prozesse und KI als Standard
Um spätestens im Jahr 2035 gut aufgestellt zu sein, ist es eine Basisvoraussetzung, Darlehensabläufe end-to-end zu digitalisieren und ohne Medienbrüche zu prozessieren. Darüber hinaus können KI-Systeme z.B. wesentliche Teile der Dokumentenprüfungen oder Risikoprognosen innerhalb weniger Sekunden übernehmen. Dadurch kann häufig eine sofortige Kreditentscheidung erfolgen, eine manuelle Bearbeitung durch Mitarbeiter wird nur noch in Ausnahmefällen nötig sein.
Die Implementierung von durchgängig digitalisierten Prozessen ist kein Selbstläufer und erfordert klare Voraussetzungen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Qualität der Daten: Sowohl die bankinternen Systeme, Schnittstellen und Datenstrukturen als auch die von Privatkunden eingereichten Unterlagen müssen vollständig, korrekt und strukturiert vorliegen.
Ein entscheidender Hebel für die Datenqualität liegt in der Antragserfassung im Bank-Frontend/Onlinebanking. Wenn dieser Prozess gezielt durch die Anforderungen führt und durch KI technisch unterstützt wird, lassen sich fehlende Informationen oder fehlerhafte Dokumente von Anfang an vermeiden. Sind alle relevanten Informationen in hoher Qualität vorhanden können Banken eine automatisierte Kreditentscheidung mit Unterstützung Künstlicher Intelligenz realisieren. So wird aus einem digitalen Prozess ein effizienter und skalierbarer Workflow, der Kundenerwartungen erfüllt und interne Ressourcen schont.
Banken als Wohnbegleiter im Ökosystem
Banken entwickeln eigene Ökosysteme rund ums Wohnen oder bilden Kooperationen, die günstigere Konditionen durch geteilte Kosten ermöglichen. Angesichts der Dominanz externer Plattformen werden viele Institute nach Wegen suchen, Kunden im eigenen Umfeld zu halten.
Die Lösung ist oft ein umfassendes Ökosystem mit Mehrwertdiensten: Das heißt, Banken bieten nicht nur die Finanzierung an, sondern begleiten den Privatkunden über den gesamten Prozess des Wohnungswechsels oder Hausbaus. In solchen Ökosystemen erhalten Kunden alle Services aus einer Hand – von der Immobilienvermittlung über Finanzierung bis hin zu Versicherungen, Umzugsservices oder Renovierungsangeboten. Vernetzte Dienstleistungen binden Kunden enger und generieren Zusatzgeschäft, da Kunden mit geringerer Wahrscheinlichkeit Einzelangebote von Wettbewerbern annehmen.
Technologisch erfordert dies hoch integrierte Systeme und offene Schnittstellen, um Partner einzubinden und Daten in Echtzeit auszutauschen. Institute mit hoher Integrationsfähigkeit – bereit für Open-API-Kollaboration – verschaffen sich hier einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil. Wer Teil relevanter Ökosysteme ist oder ein eigenes erfolgreich etabliert, kann Privatkunden langfristig binden und zusätzliche Ertragsquellen erschließen.
Zukunft bauen & finanzieren – heute die Weichen für 2035 stellen
Banken müssen sich von reinen Kreditgebern zu gestaltenden Lösungsanbietern entwickeln. Um die Weichen von Beginn an an den Kundenwünschen auszurichten, ist es ratsam, die Kunden in den Entwicklungsprozess neuer (Finanzierungs-)Lösungen und Services einzubeziehen. Auch künftig wird unseres Erachtens der persönliche Faktor wichtig sein.
Erfolgreiche Anbieter kombinieren High-Tech mit High-Touch: Algorithmen können die Finanzierung prozessieren, doch Vertrauen und Kundenzufriedenheit gewinnen meist diejenigen, die sowohl technologisch als auch menschlich überzeugen. Insgesamt erwarten wir, dass sich die Marktanteile zugunsten derjenigen Anbieter verschieben, die sich nahtlos in digitale Netzwerke einfügen sowie Präsenz, Service, Geschwindigkeit, Flexibilität und (Daten-)Vernetzung in ihrem Geschäftsmodell verankert haben. Dies wird nur denjenigen Banken gelingen, die bereits heute unnachgiebig in moderne IT-Architekturen investieren. Die konsequente Nutzung von APIs ermöglicht es, flexibel auf Partnerangebote zuzugreifen und eigene Services in externe Plattformen zu integrieren – ein Muss im Zeitalter vernetzter Ökosysteme.
Gleichzeitig entstehen neue Chancen durch vernetzte Ökosysteme rund ums Wohnen. Banken, die integrierte Services aus einer Hand bieten, binden Kunden langfristig und erschließen neue Ertragsquellen. Open Finance, KI-gestützte Prozesse und automatisierte Kreditentscheidungen werden zum Standard, vorausgesetzt, Datenqualität und IT-Infrastruktur sind entsprechend transformiert. Wer jetzt handelt, investiert nicht nur in Technologie, sondern in Zukunftsfähigkeit.

Silke Varnholt
Silke Varnholt ist Koautorin des Beitrags. Die Diplom-Kauffrau ist Senior Managerin im Bereich Banking & Capital Markets bei BearingPoint und leitet das Kompetenzteam Kredit. Zuvor war sie als Senior Consultant bei PwC tätig.
E-Book „#Banking2035“ zum Download
Der Artikel ist Teil der Serie „#Banking2035: Langfristige Perspektiven für Finanzinstitute“. Die Beiträge aller Experten sind in einem umfangreichen E-Book zusammengefasst. Abonnenten von Der Bank Blog Premium können das E-Book direkt kostenfrei herunterladen.
Wenn Sie kein Abonnent sind können Sie das umfangreiche E-Book mit allen Expertenbeiträgen für 9,95 Euro einzeln kaufen. Neuauflagen werden Ihnen bei Erscheinen direkt per Mail zugesendet. Nutzen Sie dazu bitte das folgende Bestellformular:




