„Banken müssen echte Mehrwerte für ihre Kunden schaffen“

Interview mit Markus Bender, Accenture

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Die „Wiederbelebung“ der Zinsen könnten eine Rückkehr der traditionellen Einnahmequellen der Banken bedeuten, aber sicher nicht die Rückkehr zur Normalität. Über die aktuellen Herausforderungen für die Branche habe ich mich mit Markus Bender von Accenture unterhalten.

Herausforderungen und Chancen für Banken in 2023

Interview zu den aktuellen Herausforderungen und Chancen für Kreditinstitute.

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Das seit Jahren anhaltende Niedrigzinsumfeld führte dazu, dass viele Kreditinstitute ihren Schwerpunkt auf Produkte und Dienstleistungen verlagerten, die trotz der nicht vorhandenen Zinsen weiterhin Erträge generierten. Als Folge ging die ganzheitliche Betrachtung der finanziellen Bedürfnisse ihrer Kunden in weiten Teilen verloren. Die Verbindung zwischen zusammenhängenden Angeboten der Banken wurde unterbrochen und Produktsilos gefördert.

Die niedrigen Zinssätze führten auch dazu, dass neue Wettbewerber wie Neobanken und FinTechs auf den Plan traten. Die Folge war ein regelrechter „Big Bang“ des Wettbewerbs und der digitalen Disruption.

Interview mit Markus Bender, Accenture

Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Accenture zufolge könnten steigende Zinssätze zwar die Rückkehr zu den traditionellen Einnahmequellen der Banken, wie das Einlagen- und Kreditgeschäft bedeuten, nicht aber die Rückkehr zur Normalität.

Über die Konsequenzen und die möglichen Strategien für Banken habe ich mit Markus Bender gesprochen. Er leitet das Financial Services-Geschäft von Accenture mit Banken und Kapitalmarkt-Institutionen in Deutschland. Der Diplomkaufmann ist seit 20 Jahren in der Beratung von Banken aktiv.

Markus Bender - Managing Director Financial Services, Accenture

Markus Bender ist Managing Director für den Bereich Financial Services bei Accenture.

„Gewissheiten“ haben sich in ihr Gegenteil verkehrt

Der Bank Blog: Wo sehen Sie aktuell die größten Risiken und Herausforderungen für Banken und Sparkassen im Jahr 2023?

Markus Bender: Das Jahr 2022 hat mit den geopolitischen Entwicklungen und der Zinswende vergleichsweise viele äußere Faktoren und Implikationen mit sich gebracht. Banken und Sparkassen mussten und müssen noch immer darauf reagieren. Hierbei haben sich auch einige „Gewissheiten“ der letzten Jahre in ihr Gegenteil verkehrt – beispielsweise im Bereich der Privatkunden. Hier ist die Baufinanzierung als Ankerprodukt nun stark rückgängig. Durch das am Kapitalmarkt tendenziell verlustreiche Jahr 2022 und neue Wettbewerber ist das Wertpapiergeschäft zudem schwieriger geworden. In beiden Fällen sollten Banken und Sparkassen den engen Kontakt zum Kunden nicht verlieren. Das gilt vor allem trotz weiterer Filial- und Zweigstellenschließungen.

Im Bereich der Firmenkunden sehen wir die Gefahr zunehmender Kreditrisiken. Hierbei treffen die auch weiterhin bestehenden Herausforderungen der Corona-Krise, sprich verändertes Kundenverhalten und unterbrochene Lieferketten, nun auf ein verändertes Zins- und damit Finanzierungsumfeld. Banken werden ihre Kreditprüfungsmechanismen weiter entwickeln müssen, um der zunehmenden Komplexität bei der Bewertung des Kreditportfolios gerecht werden zu können.

Übergreifend besteht das Risiko, dass die nächsten Stufen der benötigten technologischen Transformation in diesem Geschäftsumfeld auf die lange Bank geschoben werden. Der Einsatz moderner Technologie in Verbindung mit künstlicher Intelligenz und Automatisierung ist eine wesentliche Herausforderung der nächsten Jahre. Entsprechende Talente müssen Unternehmen auf einem hart umkämpften Arbeitsmarkt erstmal für sich gewinnen.

Rückkehr des „vorhersagbaren, planbaren Bankgeschäfts“

Der Bank Blog: Sind die steigenden Zinsen tatsächlich ein nachhaltiger Ertragsfaktor für die Institute?

Markus Bender: Wenn man sich die aktuellen Geschäfts- und Quartalsberichte durchliest, möchte man vereinfacht sagen: Ja, die Zinswende ist in den Bilanzen angekommen. Ich spreche aber statt von einem nachhaltigen Ertragsfaktor lieber davon, dass eine Rückkehr der Zinsen insbesondere eine Rückkehr des grundsätzlich „vorhersagbaren, planbaren Bankgeschäfts“ bedeutet.

Das ist mir aus zwei Gründen wichtig: Zum einen bedeuten Zinserträge eine Entlastung des zuletzt starken Drucks auf Provisionserträge. Zum anderen ermöglichen zukünftige Zinserträge auch die Allkokation von Budgets für die angesprochene benötigte technologische Transformation – und somit eine mittelfristige Verbesserung der Kostenstruktur. Der entstehende Raum kann und sollte wiederum in Innovationen für Produkte und Services für die Kunden investiert werden. Insofern ermöglichen heutige Zinserträge insbesondere die Investition in zukünftige Provisionserträge.

Banken müssen bessere Produkte und Services generieren

Der Bank Blog: Welches sind die wichtigsten kurz- und mittelfristigen Investitionsbereiche für Kreditinstitute?

Markus Bender: Kurzfristig sollten Banken auf den bereits gegangenen Schritten aufbauen und ihr technologisches Fundament rund um die Cloud und moderne Schnittstellen weitergestalten. Nachdem die letzten Jahre ein Fundament aus diesen Technologien gegossen wurde, gilt es nun, weitere Unternehmensbereiche anzubinden und mit den neuen Kapazitäten bessere Produkte und Services zu generieren. Hier kommt auch die Nutzung von Daten ins Spiel: Wenn Daten als Produkt gesehen werden, haben Banken weiterhin transformative und bis heute nicht genutzte Kräfte. Ich beobachte noch immer sehr zögerliche und eher nur vereinzelte Versuche, diesem Thema mit aller Konsequenz in der Umsetzung zu begegnen. Das sollten Banken unbedingt kurzfristig adressieren.

Zudem ist die Kernmodernisierung für Banken und Sparkassen aufgrund der benötigten Senkung der Kostenbasis ein bedeutendes Thema. Intelligent Operations und ein möglichst hoher Prozentsatz vollautomatisierter Prozesse lassen Banken aber nicht nur eben jene Kosten senken, sondern auch ihre Services in nahezu Echtzeit zu den Kunden bringen – ein bedeutender Faktor für mittelfristige Wettbewerbsfähigkeit.

Banking muss mehr Menschlichkeit und Empathie zeigen

Der Bank Blog: Ihre Studie nennt die „Renaissance der Bankfiliale“ als einen wichtigen Trend. Welche Empfehlungen haben Sie für diesen Bereich an deutsche Banken und Sparkassen?

Markus Bender: Lassen Sie mich zuerst kurz rekapitulieren, wo wir herkommen: Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Kunden und Banken auch ohne persönliche Interaktionen in den Filialen transaktional funktionierende Geschäftsbeziehungen zueinander unterhalten können. Aus Kundensicht stellen Banken zwar funktionierende Services bereit, doch sie haben Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung der Loyalität. Kunden sind digital deutlich selbstbewusster und wechselbereiter geworden. Das Problem ist: Wenn Kunden eine Bankdienstleistung nur funktional betrachten, geht mit den heutigen Technologien die Differenzierung verloren und Bankdienstleistungen werden eine Commodity.

Banking muss an dieser Stelle wieder mehr Menschlichkeit und Empathie zeigen. Ich würde von einer Renaissance der persönlichen Beratung des Kunden sprechen. Es gibt weiterhin einen Bedarf nach hochwertiger Finanzproduktberatung. Doch diese geschieht potenziell auf allen denkbaren Kanälen: physisch, remote am Telefon oder und nicht zuletzt digital und meist mobil über Chat und Video. Entscheidend ist hierbei, dass die Banken das gleiche Servicelevel auf all ihren Kanälen aufrechterhalten können.

Beim Thema Nachhaltigkeit kommt viel Arbeit auf die Banken zu

Der Bank Blog: Nachhaltigkeit ist ja derzeit in aller Munde. Wie können Banken ihre Net-Zero-Ziele in der Praxis umsetzen?

Markus Bender: Hier sollten wir vorab unterscheiden – zwischen Net Zero Zielen für das eigene Unternehmen und dem Beitrag für die Gesellschaft als Finanzintermediär. Banken und Sparkassen können gegeben ihrer Geschäftstätigkeiten theoretisch vergleichsweise schnell Net Zero Ziele ausgeben und auch erreichen.

Der Beitrag für die Gesellschaft steht hingegen noch am Anfang: Als Finanzintermediär müssen sie einfache Wege bereitstellen, die die Finanzierung der benötigten Investionen für Unternehmen ermöglichen. Hierfür ist es in erster Linie unerlässlich, das Banken die richtigen und mit Blick auf gesellschaftlichen Konsenz auch anerkannte ESG-Daten zur Verfügung haben. Diese müssen eine saubere Verarbeitung in den existierenden Investment- und Kreditentscheidungsprozessen ermöglichen. Aus meiner Sicht kommt hier noch viel Arbeit auf uns zu und Banken sollten entsprechende Investitionen einplanen.

Banken brauchen ein modernes, flexibles und automatisiertes Kernbankensystem

Der Bank Blog: Es wird viel über die Modernisierung der Kernbankensysteme gesprochen. Andererseits gilt unverändert der alter IT-Grundsatz „Never change a running system“. Wo sehen Sie die Vorteile und wo die Herausforderungen?

Markus Bender: Ich komme wieder auf die bereits erwähnte ganzheitliche technologische Transformation zu sprechen: Banken müssen sich weiterentwickeln, um sich mit Technologie einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten. Dies kann bei den aktuellen Markttrends nur mit einer Kombination von Hebeln geschehen, bestehend aus Cloud, Daten und künstlicher Intelligenz – also einem starken Technologiefundament. Kernbankensysteme basieren in diesem Zusammenhang oftmals auf einem veralteten  Technologiestand.

Um die bereits genannten Technologien und Anwendungen nutzen zu können, ist auch ein modernes, flexibles und automatisiertes Kernbankensystem nötig und bedeutender Teil einer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit.

In der Vergangenheit wurden die mehrjährigen Transformationen allerdings oftmals als zu komplex und langsam im Umfeld von Disruption erachtet und deswegen verworfen oder zwischendrin gestoppt. Mein Credo hierzu ist: Es braucht keinen „Big Bang“ mehr, um erfolgreich zu sein. Cloud-basierte Plattformen ermöglichen die deutliche Verkürzung der time-to-market bei gleichzeitiger Migration bestehender Komponenten.

Banken müssen im Lebensmittelpunkt der Kunden präsent sein

Der Bank Blog: Laut Ihrer Studie sollten Banken von einer produkt- oder kundenzentrierten Strategie zu einem Life Centricity-Ansatz übergehen. Wie genau soll das aussehen?

Markus Bender: Viele Banken denken noch vermehrt produktzentriert und in entsprechenden Silos. Die aktuelle Angebotswelle kurzfristiger Zinsangebote ist ein prominentes Beispiel. Das ist betriebswirtschaftlich nachvollziehbar aber keine Antwort auf die Frage nach der verbleibenden Relevanz von Banken für ihre Zielgruppen. Der Weg sollte weg vom „One-Size-Fits-All“-Ansatz und hin zu einem kontextuellen, auf Kundenverhalten und -bedarf basierenden, empathischen Angebot. „Life Centricity“ bedeutet für uns: Produkte und Services anders, vor allem offen denken und die Wertschöpfungskette auch für Partnerangebote öffnen.

Statt transaktionaler Produktorientierung bedeutet das für Banken einen Wandel zu individuellen Lösungskomponenten und Angebotsmodulen. Ein modularisiertes Produktangebot können sie noch mehr am Kunden ausrichten. Module können übliche Bankenprodukte und Servicebausteine aber auch Non-Banking Komponenten enthalten, die nicht bankbezogene Dienstleistungen oder Produkte von externen Drittanbietern bündeln.

Um die Attraktivität für den Kunden und damit das Cross-Selling zu steigern, sollten die Module unterschiedliche Produktbereiche miteinander verbinden und in Kombination auch rabattiert angeboten werden. Manche Module können Kunden jederzeit kündigen, andere erst nach einer definierten Laufzeit. Alle genannten Aspekte haben eines gemein: Die Bank bleibt relevant und präsent im Lebensmittelpunkt der Kunden.

Banken müssen echte Mehrwerte schaffen

Der Bank Blog: Und wo liegen die Vorteile für die Banken?

Markus Bender: Banken können ihre Wertschöpfungsketten neu denken, fragmentieren und sich spannende Fragen stellen: Was können wir marktführend und kosteneffizient anbieten? Wo bedienen wir uns anderer Dienstleister und binden diese gegebenenfalls in unsere Wertschöpfung mit ein? In welchen Bereichen stellen wir vielleicht den Distributionskanal oder unsere Technik zur Verfügung? Wo wollen wir auch außerhalb unserer Kernmärkte präsent sein?

Um in den Lebenswelten ihrer Kunden relevant zu beiben, sollten Banken sich einer erweiterten Klaviatur bedienen, um echte Mehrwerte für sie zu schaffen. Das stellt ohne Zweifel eine Herausforderung dar und erfordert strategisches Vorgehen. Den Kundenzugang und die Marktbearbeitung neu zu denken, kann in Zeiten wie diesen aber auch zu bedeutenden mittelfristigen Wettbewerbsvorteilen führen.

Einen Vorteil sollten sich Banken unbedingt bewahren: Sie besitzen nach wie vor hohes Kundenvertrauen. Durch digital unterstützte Kommunikation, die Möglichkeit, rund um die Uhr Kontakt zu einem Ansprechpartner aufzunehmen, und flexible Produkte und Services können Banken das auch trotz der aktuellen Marktbewegungen aufrecht erhalten und bestenfalls ausbauen.

Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.

Über den Autor

Dr. Hansjörg Leichsenring

Dr. Hansjörg Leichsenring ist Herausgeber des Bank Blogs und der Finanzbranche seit über 30 Jahren beruflich verbunden. Nach Banklehre und Studium arbeitete er in verschiedenen Positionen, u.a. als Direktor bei der Deutschen Bank, als Vorstand einer Sparkasse und als Geschäftsführer eines Online Brokers. Als Experte für Strategien in den Bereichen Digitalisierung, Innovation und Vertrieb ist er gefragter Referent und Moderator bei internen und externen Veranstaltungen im In- und Ausland.

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